Diversität im Journalismus
Vielfalt als Chance
Die Medienbranche diskutiert zunehmend über die Zusammensetzung ihrer Redaktionen. Warum werden bestimmte Gesellschaftsgruppen von Zeitungen, Onlinemagazinen und Sendern gar nicht mehr erreicht? Wer entscheidet über Themensetzung und Gewichtung? Und warum wird diese häufig als so einseitig wahrgenommen? Hinzu kommt der Nachwuchsmangel: Vermehrt bemühen sich Personalabteilungen von Medienhäusern und Rundfunkanstalten mittlerweile um Bewerber*innen mit Migrationshintergrund, aus dem ländlichen Raum oder mit einer Biografie mit Brüchen. Wir haben mit Kollegen und Kolleginnen aus Norddeutschland darüber gesprochen, wie Diversität im Journalismus gelebt werden kann und warum sie wichtig ist.
Auf die Perspektive kommt es an. Jenny Bernard erinnert sich an ein Beispiel aus ihrer Volontärszeit bei der Offenbach Post: „Dort wurde einmal in der Redaktion eine Kommune gefeiert, die die Kleinkindbetreuung von 8 bis 12 Uhr eingeführt hat. Das war für mich als Ossi-Frau gar nicht erwähnenswert.“ Die 40-Jährige, seit kurzem als Content-Managerin beim Telekommunikationsanbieter LogiTel in Neumünster tätig, stammt aus einem Dorf mit nicht einmal 1000 Einwohnern in Mecklenburg-Vorpommern und hat bis 2018 acht Jahre lang als Lokalredakteurin und Editorin bei der Schwäbischen Zeitung gearbeitet. „Mir fällt auf, dass Journalisten fast alle aus dem gleichen Umfeld kommen. Sie stammen meist aus gutbürgerlichem Hause und haben studiert.“ Redaktionsleiter stellten häufig Leute ein, die ihnen vom Typ her ähnlich sind.
Foto: Studio Renard
Sich selbst bezeichnet Bernard als „Dreifach-Quote“: „Frau, schwerbehindert, Ossi.“ Durch einen Tumor hat sie einen Großteil ihres Sehvermögens eingebüßt, das jetzt nur noch bei 30 Prozent liegt. Seither kann sie nicht mehr Auto fahren, aber das Arbeiten am Computer ist kein Problem. Offene Diskriminierung wegen ihrer Behinderung habe sie nicht erfahren, sagt Bernard. Aber die Jobsuche im vorigen Jahr sei trotz guter Qualifikation und erfolgversprechender Bewerbungsgespräche sehr schwierig gewesen. „Ich denke, vielen fehlt es an Mut, Leute einzustellen, die anders sind und andere Erfahrungen mitbringen.“
Nicht nur die Sichtweisen behinderter Journalist*innen fehlen in vielen Verlagen und Sendern, auch die von Menschen mit Migrationshintergrund: Rund jeder vierte Deutsche hat mittlerweile einen solchen Hintergrund. In Redaktionen lag der Anteil 2016 nach Schätzung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM), einer bundesweiten Organisation von Medienschaffenden mit und ohne Migrationsgeschichte, jedoch lediglich bei vier bis fünf Prozent.
Foto: Joanna Michna
Für Candan Six-Sasmaz war die Lücke eine Chance. Die Journalistin aus Neumünster kommt aus einer klassischen Gastarbeiterfamilie. „Als ich anfing, als Journalistin zu arbeiten, habe ich mich ganz bewusst auf das Thema Türken in Deutschland und in Europa konzentriert“, sagt die 42-Jährige, die freiberuflich hauptsächlich im Auftrag von ZDF, Arte und 3sat arbeitet. Die Türkeistämmigen seien die zweitgrößte ethnische Bevölkerungsgruppe hierzulande, doch ihr Anteil in den Medien relativ gering. Sie habe sehr schnell die Chance bekommen, Dokumentationen und Reportagen über das türkische Leben zu drehen. „Ich habe mehr Zugang zu dieser Community, weil ich ‚eine von ihnen‘ bin“, so Six-Sasmaz. Im Laufe der Zeit hat sie ihr Themenspektrum erweitert, berichtet nun auch über das Verhältnis der Türkei zum Nahen Osten, Migration, Integration, Flüchtlinge und den Islam. Als großen Vorteil sieht sie es, dass sie auch Inhalte vorschlagen kann, die nicht-türkische und nicht-muslimische Journalist*innen nicht kennen. „Ein Beispiel: Wenn wir eine Dokumentation über die Angst der Deutschen vor der möglichen Rückkehr von IS-Kämpfern drehen, dann sollten wir zeigen, dass Muslime auch Angst vor diesen Menschen haben.“
Foto: privat
Dass Journalist*innen nicht-deutscher Herkunft ausschließlich über Migrationsthemen berichten, wird von manchen Medienschaffenden kritisch gesehen. So zum Beispiel von Özgür Uludağ (43), einem der Hamburger Ansprechpartner der NDM. Der in Hamburg geborene Islamwissenschaftler hat türkische Eltern. Er ist Autor von TV-Stücken beim NDR Fernsehen und beim ZDF sowie Reporter der Zeitschrift Zenith. Uludağ sagt: „Persönlich fällt mir auf, dass Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund vielfach auf Migrationsthemen beschränkt werden. Diese Themen interessieren mich zwar sehr, aber ich möchte sie nicht ausschließlich bearbeiten. Ich würde auch gern mal ein Theaterstück rezensieren – immerhin habe ich zehn Jahre lang beim Deutschen Schauspielhaus gearbeitet.“
Foto: privat
Libuse Cerna (65), Journalistin und Vorsitzende des Bremer Rates für Integration, warnt sogar vor der zu starken Akzentuierung eines Bestandteils der eigenen Biografie: „Unsere Identität ist facettenreich; sie auf einen Aspekt zu reduzieren, ist absurd. Sie ist bestimmt durch unseren Werdegang, unsere Erlebnisse, und bringt bestimmte Kenntnisse, Ansichten und Kompetenzen mit sich, die bei der journalistischen Arbeit hilfreich sind.“
Six-Sasmaz aber hat kein Problem damit, immer wieder für die gleichen Themen angefragt zu werden. Im Gegenteil: Ihr Themenschwerpunkt ist ihr wichtig. Schließlich könne sie so einen Beitrag zum verständnisvollen Miteinander zwischen Türkeistämmigen, Muslimen, Migranten und der Mehrheitsgesellschaft leisten. Sie sieht eine positive Entwicklung: „Zu Beginn meiner journalistischen Laufbahn war noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig, um vorherrschende Klischees zu durchbrechen.“
Doch mancherorts halten sich Klischees hartnäckig, wie Özgür Uludağ beobachtet hat: „Gerade bei den Themen Migration und Islam gilt in Redaktionen häufig ‚only bad news are good news‘ – ich würde mir da eine differenziertere Betrachtungsweise wünschen.“ Statt konstruktiv und lösungsorientiert würden Themen oft konfliktbehaftet und problemorientiert bearbeitet. Allgemein geht er von einer größeren Offenheit gegenüber Journalist*innen mit Migrationsgeschichte in Großstädten aus. Er vermutet: „Mein Eindruck ist, dass Journalisten und Journalistinnen mit diversifizierten Kultureinflüssen dann eingestellt werden, wenn ihre speziellen Kenntnisse und Zugänge gefragt sind. Dies ist in der Regel in Großstädten eher der Fall als in den Nicht-Metropolen.“
Wer sich in Personalabteilungen umhört, stellt schnell fest, dass dort mittlerweile nach Medienschaffenden mit unterschiedlichen Biografien gesucht wird. „Wir hätten gern mehr Bewerber*innen mit Migrationshintergrund“, sagt zum Beispiel Kathrin Petersen, die die Konzernpersonalentwicklung der Madsack Mediengruppe (u.a. Lübecker Nachrichten) leitet. Es sei aber nicht so einfach, diese Zielgruppe zu erreichen. Und auch ein anderer Aspekt von Vielfalt sei ihr wichtig: Bewerber*innen für ein Volontariat müssten mittlerweile nicht mehr zwingend ein abgeschlossenes Studium vorweisen. So wolle Madsack eine größere Vielfalt bei Bildungshintergrund und Lebenserfahrung erreichen. „Auch altersmäßig haben wir eine Spanne von 22 bis 40 Jahren bei unseren Volontären“, betont Petersen.
Foto: Christina Czybik
Dass allein die Einstellungspolitik einer Redaktion noch nicht Grundlegendes ändert, sondern die gesamte Unternehmenskultur Diversität leben muss, ist ein viel diskutiertes Thema bei Konferenzen und Tagungen. In der Realität angekommen ist es bisher nur vereinzelt. Ein positives Beispiel kennt Jens Maier, 45, Ressortleiter Unterhaltung bei Stern Online und Mitbegründer des LGBTIQ-Netzwerks Be.Queer, das nicht nur bei Gruner+Jahr, sondern konzernübergreifend überall bei Bertelsmann tätig ist. Be.Queer will Diversität auch von lesbischen, schwulen, bi-, trans-, intersexuellen und queeren Mitarbeiter*innen fördern und sichtbar machen. Bei Gruner+Jahr gibt es einen monatlichen Stammtisch des Netzwerks, zu dem etwa 15 bis 20 Mitarbeiter*innen kommen. Paten von Be.Queer sind G+J-Vorstandschefin Julia Jäkel, Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe und Bertelsmann-Personalvorstand Immanuel Hermreck.
Für Maier ist der Weg zu mehr Vielfalt in den Medien noch lange nicht zu Ende: „Wir erleben einen kulturellen Wandel und sind vielfältiger geworden. Und wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.“ Das Geschlecht oder eine andere Hautfarbe beispielsweise seien sichtbar, die sexuelle Identität oder Religion dagegen blieben unter der Oberfläche. Darum sei es wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jeder so sein kann, wie er ist. „Für Vielfältigkeit gibt es drei Gründe: die Unternehmenskultur, den wirtschaftlichen Erfolg und rechtliche Zwänge. Wenn man bedenkt, dass immer noch ein knappes Drittel der Schwulen und Lesben am Arbeitsplatz nicht über die sexuelle Identität spricht, sehen wir, dass Unternehmen Farbe bekennen müssen, um Ängste abzubauen“, sagt Maier. Doch ist die sexuelle Identität nicht Privatsache? „Die persönliche Sexualität geht niemanden etwas an, aber wenn ein Schwuler am Arbeitsplatz zum Beispiel gefragt wird, was er am Wochenende gemacht hat, sollte klar sein, dass er nicht mit einer Frau, sondern eben mit einem Mann unterwegs war“, sagt Maier. Ein Versteckspiel um die sexuelle Identität habe negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung. Er selbst sei nie bewusst und offen diskriminiert worden. „Aber wie verhält man sich als Schwuler, wenn man hört, dass im Flur ein Schwulenwitz erzählt wird?“ Früher habe er dazu geschwiegen, heute würde er vermutlich etwas sagen.
Die Debatte um Vielfalt in den Redaktionen wird in einer Zeit geführt, in der es in der Medienbranche wirtschaftlich kriselt. Das weiß auch Jens Maier. „Manchmal höre ich das Argument: ‚Wir können uns nicht um das Thema Vielfalt kümmern, weil wir so viele andere Probleme haben.‘ Ohne Diversity und Wertschätzung für alle geht es aber nicht.“
Libuse Cerna gibt zu bedenken, dass allein kosmetische Korrekturen beim Thema Vielfalt nicht weiterhelfen: „Es geht nicht darum, dies in einer Art Sozialzoo zur Schau zu stellen, sondern Fertigkeiten zu nutzen.“ Journalistische Aufgaben seien präzise Beobachtung, fundierte Recherche, genaue Beschreibung. „Und deswegen sind breitgefächerte Kompetenzen in divers aufgestellten Teams eine notwendige Voraussetzung, um die globale Komplexität unserer Wirklichkeit adäquat abzubilden.“
Christiane Eickmann/Claudia Piuntek
Jetzt anmelden für DJV-Kongress
„Vielfältig statt einfältig! Für mehr Diversität im Journalismus“ heißt der Kongress, zu dem der DJV Niedersachsen in Kooperation mit der Stiftung Leben & Umwelt / Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen am Samstag, 30. November 2019, ab 10.30 Uhr in Hannover einlädt. Auch der DJV Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein unterstützt die Veranstaltung im Pavillon Hannover, Lister Meile 4.
Warum Menschen mit untypischen Biografien eine Bereicherung für jede Redaktion sind, darüber spricht die Journalistin Anna Adrizanjan (t-online.de) in ihrer Keynote „Ein Herz für Underdogs“. Dass über Menschen mit Behinderung berichtet werden kann, ohne Klischees zu bedienen, wird Judyta Smykowski in einem Workshop zeigen. Die freie ZDF-Journalistin Trang Dang stellt Strategien von Journalist*innen mit Migrationshintergrund vor, die ihren Weg in die Redaktionen gefunden haben, und Cornelie Kunkat vom Deutschen Kulturrat benennt die Vorteile von Mentoring-Programmen. Die BuzzFeed-Redakteurinnen Pascale Müller und Juliane Löffler geben Tipps, wie Themen platziert werden können, die in Redaktionskonferenzen häufig unter den Tisch fallen – wie zum Beispiel sexualisierter Machtmissbrauch. Auf dem abschließenden Podium diskutieren unter anderem Thomas Mitterhuber (Deutsche Gehörlosenzeitung), der freie Journalist Vassili Golod und die stellvertretende Newsroomleiterin des RedaktionsNetzwerks Deutschland, Dany Schrader.
Tickets kosten für DJV-Mitglieder 10 Euro und können auf der Veranstaltungshomepage djvielfalt.de erworben werden. Eine rasche Bestellung wird empfohlen, die Plätze sind begrenzt.
Hier gibt es weiterführende Informationen
• Gemeinsam mit dem Verein Sozialhelden hat die Kommission „Chancengleichheit und Diversity“ des DJV die Broschüre „Journalist*innen mit Behinderung – bitte mehr davon!“ erarbeitet, die Tipps für den Einstieg in den Journalismus bietet. Unter bit.ly/2kVHkWy findet sich der Link zum Download.
• Mehrere Informationsquellen für diskriminierungsfreie Sprache, u.a. auch zum Gendern, finden sich hier: bit.ly/sprachtipps
• Ein Ratgeber zu gendergerechter Sprache ist im Duden-Verlag erschienen: Anja Steinhauer, Gabriele Diewald: Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin 2017
• Wer auf Vielfalt in der Berichterstattung achten möchte, findet Gesprächspartner*innen zu unterschiedlichen Themen unter www.vielfaltfinder.de
• Das Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher ist unter bit.ly/2kVRCGd abrufbar.