Was Corona in norddeutschen Medienhäusern anrichtet
Sternstunde für den Journalismus?
Ein fast leerer Newsroom in Zeiten von Corona: Im Bild die Räumlichkeiten von action press in Hamburg.
Norddeutschlands Print-Titel stecken durch die Covid-19-Pandemie in einer paradoxen Lage: Anzeigenerlöse brechen ein, doch die Leserschaft wächst. Zugleich ändern sich die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen, während Freie nur am Rande eine Rolle spielen. Die NORDSPITZE hat nachgefragt.In den Großraumbüros der Ostfriesen-Zeitung in Leer stehen jetzt Plexiglas-Wände zwischen den Arbeitsplätzen. Redakteurinnen und Redakteure sind in kleinere, zuvor nicht genutzte Räume der eitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) umgezogen. Die Zahl der Arbeitsplätze pro Raum wurde verringert, der Abstand zwischen Tischen – so weit es ging – vergrößert. „Die Herausforderung ist derzeit, den Gesundheitsschutz zu gewährleisten“, teilt der Betriebsrat der ZGO mit. „In naher Zukunft stehen auch noch Betriebsvereinbarungen zum mobilen Arbeiten und zum Home-Office an.“
Vor Corona wurde Home-Office bei dem Verlagshaus in Leer „kaum praktiziert“, so der Betriebsrat. Jetzt wurde diese Arbeitsform „dank der Flexibilität der Kollegen“ schnell umgesetzt. Ohne die Pandemie hätte das Umsetzen des mobilen Arbeitens vermutlich viel länger gedauert und wäre mit mehr Kritik verbunden gewesen.
Die rasche Akzeptanz von Heimarbeit ist augenscheinlich die größte Umwälzung, die Corona in den norddeutschen Redaktionen von Print-Titeln ausgelöst hat. „Mit Sicherheit hat mobiles Arbeiten nun eine andere Akzeptanz“, bestätigt auch Joachim Braun, Chefredakteur der Ostfriesen-Zeitung. „Es klappt wunderbar, und es ist allen klar: Wer künftig außerhalb der Redaktion arbeiten will, kann dies gerne immer wieder tun.“
Doch der Ausnahmezustand hat noch weitere tiefgreifende Einschnitte in den Redaktionsalltag gebracht: „Durch Corona hat sich nachdrücklich und überzeugend gezeigt, dass wir Terminberichterstattung nicht brauchen“, stellt Braun fest. Die Leserinnen und Leser verlangten stärker nach themenbezogenem Journalismus. Und: „Corona bringt einen Digitalisierungsschub auf allen Ebenen. Wer an der Schwelle von analog zu digital stand, hat jetzt sicherlich einen Kick bekommen.“
Eine deutliche Zunahme der Reichweite verspürt auch die Zeit-Verlagsgruppe in Hamburg. „Im Abo verzeichnen wir eine etwa doppelt so hohe Nachfrage wie in einem durchschnittlichen Monat des vergangenen Jahres. Entsprechend ist unsere Abo-Auflage derzeit auf Rekordniveau“, berichtet Geschäftsführer Rainer Esser. „Auch die Digitalauflage entwickelt sich gut, wir gewinnen momentan mehr als doppelt so viele Probeabonnenten wie selbst in den stärksten Monaten vor der Krise. Die Reichweite auf Zeit Online hat sich in den letzten Wochen auf zwischen fünf und sieben Millionen tägliche Besuche vervielfacht.“ Besonders in der Krise suchten die Menschen Medien auf, die Orientierung geben und sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft stark einsetzten, lautet Essers Erklärung für das gestiegene Interesse an der Zeit. „Diese Krise birgt große Chancen für die Qualitätsmedien, diese Krise bringt uns einen enormen Innovations- und Digitalisierungsschub.“ Seit Corona bietet die Zeit ihren Lesern und Geschäftskunden neue digitale Formate an, zum Beispiel mehr Podcasts, Angebote zur digitalen Weiterbildung und virtuelle Eventformate. Aber: „Leider können wir die Verluste im Anzeigenmarkt und auch in diversen anderen Geschäftsfeldern wie Events und Reisen nicht durch höhere Vertriebserlöse kompensieren“, gibt Rainer Esser zu.
Gleiches berichtet Frank Thomsen, Marketing-Leiter bei Gruner + Jahr in Hamburg: Zwar müsse der Werbemarkt Umsatzeinbußen hinnehmen, und einzelne Teilmärkte wie der Verkauf an Flughäfen oder an Bahnhöfen seien eingebrochen. Doch insgesamt sei die Mediennutzung spürbar angestiegen: „Wenn es ernst wird, besinnen sich die Menschen auf die vertrauten und verlässlichen Marken, und das Bedürfnis nach hochwertigem Journalismus, nach Informationen, aber auch nach Zerstreuung wächst“, sagt Thomsen. Das wirke sich positiv auf die Verkaufszahlen von Magazinen wie Stern, Brigitte und Geolino aus. Die reinen Digitalabos konnte Gruner + Jahr im März und April mehr als verdoppeln. Beim Absatz der digitalen Plus-Modelle Stern Plus, Stern Crime Plus und Geo Epoche Plus registriert das Verlagshaus einen Zuwachs von bis zu 150 Prozent im Vergleich zur Zeit vor der Krise. Die Verantwortlichen nutzen den Zeitenwandel: „Rund um unser Marken-Portfolio bauen wir Produktwelten und Services auf. Daneben investieren wir in unser Digitalgeschäft“, sagt Frank Thomsen.
Noch weiter im Norden sieht man sogar eine „Sternstunde“ für den Journalismus anbrechen: „Den Menschen ist klar geworden, dass es lebensgefährlich sein kann, sich auf irgendwelche Trolle zu verlassen“, sagt Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages (shz) in Flensburg. „Wir sind neu gefordert, die Spreu vom Weizen zu trennen und zu erklären, was bereits erklärbar ist.“
Solch eine Sternstunde hat aber auch Schattenseiten: Kurzarbeit und eingefrorene Budgets für freie Autorinnen und Autoren. In Schleswig-Holstein beispielsweise gibt es in zwei der drei großen Zeitungshäuser Kurzarbeit in den Redaktionen: bei den Kieler Nachrichten und beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Bei den Lübecker Nachrichten dagegen ist zwar fast die Hälfte der Mitarbeitenden des Verlagshauses von Kurzarbeit betroffen, nicht aber die Redaktion. LN-Chefredakteur Gerald Goetsch über die Herausforderungen der Corona-Zeit: „Die Lübecker Nachrichten halten, wie andere regionale Tageszeitungsmarken auch, gerade mit einem großen Kraftakt ihr Zustellnetz aufrecht, weil sie einen wichtigen Informationsauftrag für die Gesellschaft erfüllen.“ Die Politik habe in den vergangenen Wochen nochmals betont, dass Journalismus zur kritischen Infrastruktur zähle. „Wenn dann weite Teile der Bevölkerung künftig nicht von verlässlichen Informationen aus dem direkten Lebensumfeld und darüber hinaus abgeschnitten werden sollen, braucht es genau jetzt eine deutliche staatliche Förderung der Zeitungszustellung“, sagt Gerald Goetsch. Nahezu identisch formuliert es der Chefredakteur der Kieler Nachrichten, Christian Longardt. An den KN wie auch den LN ist der Madsack-Konzern aus Hannover beteiligt.
Zu beobachten ist auch, dass auf regionalen Seiten der Zeitungen häufig Artikel aus anderen Berichtsgebieten stehen. Anonym werden Befürchtungen laut, dass Corona womöglich als Anlass für dauerhafte Veränderungen – soll heißen, weiteren Stellenabbau – benutzt werden könnte. „In einem Konzern wie Funke besteht leider fast immer die Gefahr, dass die nächste Einspar-Idee aufkommt“, sagt Arne Grohmann, Betriebsrat und Redakteur der Braunschweiger Zeitung. Und Michael Wendt, Betriebsratsvorsitzender der Kreiszeitung Syke, teilt diese Sorge: „Ich fürchte, dass wir uns in naher Zukunft um die Beschäftigungssicherung sorgen müssen, nämlich dann, wenn das in Kurzarbeitszeiten gekürzte redaktionelle Volumen nicht wieder auf Vorkrisen-Niveau ausgeweitet wird.“
Und wie wirkt sich die Corona-Krise auf die freien Journalistinnen und Journalisten aus? Vom Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag – aber nicht nur von dort – ist unter der Hand zu hören, dass Freie zum Teil nur noch eingeschränkt beauftragt werden dürfen. Zumindest so lange, wie die Redaktion in Kurzarbeit ist. Langfristig werde sich aber nicht viel ändern, versichert Chefredakteur Stefan Hans Kläsener: „In der Fläche können wir auf freie Mitarbeiter nicht dauerhaft verzichten.“
So sieht es auch Hendrik Brandt, Chefredakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Es gibt in der Redaktion keine Kurzarbeit, und unsere freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen unverändert einen wichtigen Teil zu unserem Informationsangebot bei.“ In der Corona-Pandemie sieht Brandt auch eine Chance: „Sie hat den Blick auf die Nutzerinnen und Nutzer geschärft und unsere internen Abläufe zum Tanzen gebracht. Wir haben alle neue Erfahrungen gemacht.“ Thomas Niemeyer, Betriebsratsvorsitzender der Neuen Osnabrücker Zeitung, sieht gar ein neues Zeitalter in den Medienhäusern aufziehen: „Das atmosphärische Aufklaren der vergangenen Wochen macht mir da Mut für etwas sehr Grundsätzliches: die Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft, wie sie im Nachkriegsdeutschland als dritter Weg zwischen kommunistischer Planwirtschaft und ungehemmtem Kapitalismus geschaffen wurde. Die Demokratie endet nicht am Werkstor.“
Bei allen Zukunftsprognosen zeigt sich aber auch, wie schnell Corona die gewohnten Arbeitsstrukturen umgeworfen hat. So schnell, dass einige Herausgeber und Redaktionen noch in Schockstarre scheinen: So äußert sich die Bremer Tageszeitungen AG gar nicht zur Corona-Umfrage der DJV-Landesverbände. Und bei der Nordsee-Zeitung in Bremerhaven antwortet Chefredakteur Christoph Linne auf die schriftliche Anfrage: „Sie können sich vorstellen, dass wir uns gegenwärtig wie alle anderen Verlage und Branchen mit vielen der von Ihnen genannten, aber auch anderen Fragestellungen beschäftigen. Unsere Antworten und Einschätzungen werden wir allerdings grundsätzlich zuerst unserer Belegschaft vorstellen.“
Florian Vollmers
(Mitarbeit: Christiane Eickmann,
Claudia Piuntek, Sabine Spatzek)
(Foto: Christina Czybik)
Krise trifft Freie
FAIRhaltenskodex gibt
Tipps für Redaktionen
Ausgerechnet das vom DJV ausgerufene „Jahr der Freien“ hat sich zu einem echten Krisenjahr für Freiberuflerinnen und Freiberufler entwickelt. Eine bundesweite Umfrage des DJV ergab: Im Durchschnitt ist der Gewinn der freiberuflich Tätigen um fast zwei Drittel eingebrochen, rund die Hälfte schreibt sogar Verluste. Auch profitieren Freie weniger von Corona-Hilfsprogrammen der Politik. „Vor allem Frauen und Alleinerziehende trifft die Krise schwer“, sagt dazu der DJV-Vorsitzende Frank Überall.
Und auch wenn einige Festangestellte selbst unter Gehaltseinbußen aufgrund von Kurzarbeit leiden, können sie solidarisch sein. Tipps, wie Feste und Freie miteinander umgehen sollten, finden sich im „FAIRhaltenskodex“, den der DJV 2012 auf seinem Verbandstag verabschiedet hat. Einige der Hinweise für Redakteurinnen und Redakteure wollen wir hier aus aktuellem Anlass nennen.
FESTE…
- nutzen ihre Spielräume, soweit diese vorhanden sind, damit Freie ein angemessenes Honorar erhalten. Es ist Konsens zwischen Festen und Freien, dass die Honorierung fair und mindestens nach Sätzen erfolgen sollte, die zwischen den Tarifparteien bzw. den Verbänden vereinbart wurden (zum Beispiel Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten, Honorarrahmen und Gemeinsame Vergütungsregeln).
- entscheiden zeitnah über Themenvorschläge freier Journalist*innen. Exklusive Themen/Ideen werden bei Ablehnung nicht an andere vergeben oder selbst bearbeitet.
- sprechen wesentliche Veränderungen an Inhalt und Umfang vor der Veröffentlichung ab. Sie informieren die Freien über den Zeitpunkt der Veröffentlichung sowie über eine eventuelle Verschiebung und weitere Verwendung.
- achten darauf, dass Redaktionen vereinbarungsgemäß gelieferte Beiträge in vollem Umfang zeitnah honorieren, auch wenn diese nicht oder nur gekürzt publiziert werden. Dazu gehören auch die Reisekosten (in tatsächlicher Höhe nach Belegen abgerechnet).
- setzen Freie, die urheberrechtlich berechtigte Ansprüche stellen, nicht unter Druck.
- informieren regelmäßig mitarbeitende Freie über wesentliche Veränderungen in Redaktion und Medienhaus.
Das sagt das Nachrichtenmagazin zur Krise
Einsparmaßnahmen beim Spiegel
„In der Medienbranche sind derzeit zwei Effekte in der Corona-Krise zu beobachten: Werbeerlöse bleiben aus, weil Anzeigen storniert oder Projekte nach hinten verschoben werden. Zugleich steigt die Nachfrage nach Journalismus, vor allem im Digitalen.
Die Geschäftsentwicklung der Spiegel-Gruppe im laufenden Jahr wird durch die Corona-Krise deutlich anders aussehen, als wir es im Etat 2020 geplant haben. Wir liegen derzeit, insbesondere durch die Einbrüche im Werbemarkt, mehr als 20 Prozent unter den für dieses Jahr etatisierten Erlösen. Nach allem, was wir bisher wissen, müssen wir davon ausgehen, dass uns bis zum Jahresende etwa 20 Millionen Euro fehlen werden. Neben den Aktivitäten zur Optimierung von bestehenden und der Erschließung von neuen Erlösmodellen werden wir in einem ersten Schritt die Kosten für das laufende Jahr 2020 in einer Größenordnung von 10 Millionen Euro reduzieren. Unterschiedliche Einspareffekte haben wir gemeinsam mit den Bereichsleitungen bereits identifiziert: Reduzierung von Marketingbudgets, ohne erlösrelevante Aktivitäten zu gefährden, Reduzierung von Beratungsbudgets für alle Projekte und Aktivitäten, die in diesem Jahr keine Erlös- oder Kostenrelevanz haben, vorläufiger Stopp von Umzügen und Umbauten im Haus.
Darüber hinaus gibt es Themen, über die wir im intensiven Austausch mit den Betriebsräten sind: Wir haben uns auf die Bedingungen für Kurzarbeit in der Spiegel-Gruppe geeinigt. Kurzarbeit gilt zunächst in ausgewählten Abteilungen im Spiegel-Verlag, die Einführung von Kurzarbeit in Redaktion und Dokumentation wird noch mit dem Betriebsrat beraten. In der Spiegel TV-Gruppe ist eine Einführung im zweiten Halbjahr möglich, Überprüfung von Neueinstellungen, Entfristungen und auslaufenden Funktionsverträgen, Reduzierung von Rückstellungen für Urlaub, das heißt trotz starker Belastungen in der aktuellen Lage sollen alle Urlaubstage in diesem Jahr genommen werden.
Aber auch, wenn wir jetzt schon gegensteuern und Geld einsparen: Die Erlösentwicklung wird nicht nur unser diesjähriges Ergebnis belasten, sondern nachhaltig wirken. Nur mit einer erfolgreichen Geschäftsentwicklung können wir wirtschaftlich unabhängig bleiben, und das ist die entscheidende Voraussetzung für unser oberstes gemeinsames Ziel: die Wahrung der publizistischen Unabhängigkeit des Spiegel.“
Anja zum Hingst, Leiterin
Kommunikation und Marketing, Spiegel-Verlag
(Foto: C.O. Bruch/Der Spiegel)