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Papierpreise im Höhenflug

Print auf dem Weg zum Luxusgut?

05.04.2022

Noch werden Tageszeitungen und Magazine in großer Stückzahl gedruckt, wie zum Beispiel hier im Druckzentrum Osnabrück. Doch wie lange noch?

Preissteigerungen und Rohstoffmangel verändern auch im Norden die Print-Landschaft nachhaltig. Die NORDSPITZE berichtet, wie Tageszeitungen und Magazine mit der Papierkrise umgehen.

Das griffige Heftchen im DIN A5-For- mat mit seinem bunten Cover und dem grellen Schriftzug Mix ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Stadtlandschaft Bremens und wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern als verlässliches Veranstaltungsmagazin geschätzt, das man sich monatlich von der Auslage im Kino, Theater oder Kiosk mit nach Hause nimmt. Doch zu Beginn des Jahres 2022 ist etwas mit Mix passiert: Papier ist knapp, Papier ist teuer. Und das macht Mix zu schaffen.

Zehn bis elf Tonnen Papier verbraucht Mix monatlich, um in einer Auflage von 36.000 Stück gedruckt zu erscheinen. Doch weltweit sind die Papierkosten derart gestiegen, dass die Mix-Verlags GmbH Mehrkosten von 4000 Euro pro Ausgabe stemmen muss, die den kleinen Verlag existentiell bedrohen. „Wir können das nicht ohne Weiteres an unsere Anzeigenkunden weitergeben“, erklärt Verlagschef Torsten Höner. „Allein bei den Kosten für Papier gibt es Preissteigerungen zwischen 30 und 35 Prozent, die sich zur Mitte des Jahres noch weiter erhöhen sollen.“

Ein Traditionsblatt vor dem Aus

Im Februar stand das Erscheinen des Mix-Magazins erstmals seit Gründung im Jahr 1986 deshalb kurzzeitig auf der Kippe. Kurz vor Drucklegung erfuhr Torsten Höner, dass der Druckerei in den folgenden drei Wochen 5000 Tonnen weniger Papier geliefert werden würden als geplant. „Glücklicherweise war ein Wechsel zu einer anderen Druckerei gerade noch möglich, die kurzfristig einen Händler mit zunächst ausreichenden Mengen an Papier finden konnte“, erzählt der Verlagschef. Doch dort wartete bereits der nächste Schreck auf den Mix-Verleger: Die Druckbögen des Magazins werden zur Weiterverarbeitung an einen Bremer Buchbinder geliefert, der aber mit dem Auftrag nicht loslegen konnte. Grund war akuter Karton-Mangel, denn der boomende Onlineversand hatte das kostbare Material vom Markt gesogen. Was ist los auf dem Papiermarkt? Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) teilt mit, dass die Papierkosten für deutsche Verleger Anfang 2022

im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich um 50 Prozent gestiegen sind. „Branchenexperten gehen davon aus, dass diese Preis- steigerungen einige Jahre anhalten könnten“, sagt BDZV-Sprecherin Anja Pasquay. „Die wichtigsten Faktoren dafür sind eine Herabsenkung der Produktionskapazitäten, hohe Energiekosten und Rohstoffmangel.“ Papierherstellung ist stromintensiv, hochwertiges Altpapier ist eine knappe Ware. „Hinzu kommt beim Magazin-Papier, dass die Situation wegen eines längeren Streiks beim Papierhersteller UPM in Finnland noch dramatischer geworden ist“, sagt Pasquay. Aus diesen Gründen sei kurzfristig am Markt kein Papier zu bekommen.

Die Zeitungen werden teurer, dünner – und digitaler

Die internationale Papierkrise spürt man auch in Ostfriesland: Auf der Betriebsversammlung der Ostfriesischen Nachrichten formulierte es Robert Dunkmann, Geschäftsführer der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO), bereits Mitte Februar so scharf wie treffend: „Das gedruckte Wort entwickelt sich für uns zum Gift.“ Und dieses Gift hat in kürzester Zeit deutliche Auswirkungen auf die norddeutsche Printlandschaft ausgeübt: Die Zeitungen werden dünner, sie werden teurer, und sie werden digitaler.

Der Mix-Verlag hat den Umfang seines Stadtmagazins für die kommenden Ausgaben radikal von 200 auf 164 Seiten reduziert. Diese Maßnahme hat auch die Alfelder Zeitung im Landkreis Hildesheim ergriffen: „Wir mussten die Umfänge zwangsläufig reduzieren“, berichtet Redaktionsleiter Markus Riese.

„Wir drucken vier Seiten weniger als üblich und werden das auch durchhalten müssen, bis sich die Lage am Papiermarkt wieder entspannt.“ Dabei geht die Alfelder Zeitung strategisch vor und setzt auf Print und Loka- les: „Wir kürzen fast ausschließlich bei über- regionalen Inhalten und halten die Umfänge im Lokalteil stabil“, sagt Riese. „Wir haben unserer Leserschaft offen und transparent erklärt, warum die Ausgaben momentan oft dünner sind als gewohnt. Dass sie großes Verständnis dafür zeigt, liegt sicher auch daran, dass wir den für uns so wichtigen Lokalteil fast gar nicht reduziert haben. Sonst wären die Reaktionen vermutlich anders ausgefallen.“ Eine Ausweitung der Digital-Aktivitäten wegen der Papierkrise hält Markus Riese für unangebracht. „Besonders in eher ländlich geprägten Verbreitungsgebieten ist die gedruckte Tageszeitung weiterhin eine feste Größe, und das wird sie auch noch eine Weile bleiben“, glaubt Riese. „Das Digitale ist natürlich wichtig und gewinnt auch weiter an Bedeutung. Es wird aber Print nicht ganz so schnell verdrängen.“

Doch für die Leserschaft wird Print durch die Papierkrise teurer: Die Hamburger Morgen- post hat ihren Preis für Einzelausgaben in der Woche um 10 Cent und am Wochenende um 20 Cent erhöht. „Die Rückmeldungen dazu waren überwiegend positiv und verständnis- voll“, berichtet Arist von Harpe, Geschäftsführer der Hamburger Morgenpost. „Unsere Leser wissen die Qualität unserer Arbeit zu schätzen und sind gerne bereit, für die Finanzierung der gestiegenen Kosten etwas höhere Preise am Kiosk zu bezahlen. Das hat Mut gemacht!“ Auch beim Weser-Kurier in Bremen hat man an der Preisschraube gedreht: „„Die Anpassung unserer Abonnement-Preise für die gedruckte Zeitung haben wir vorgezogen, um die gestiegenen Papierpreise teilweise zu kompensieren“, sagt David Koopmann, Vor- stand der Bremer Tageszeitungen AG, und glaubt weiter an Print: „Die gedruckte Zeitung hat eine Zukunft. Wie diese aber genau aussehen wird, kann heute niemand sagen.“ Was den Journalismus betrifft, schätzt Geschäftsführer Koopmann den Einfluss des Papiermangels als verhältnismäßig gering ein: „Die Corona-Pandemie hat sicherlich größere Auswirkungen auf die journalistische Arbeit als die erhöhten Papierpreise.“

Rückzug aus der Zustellung von Papier-Produkten

Wenig konkret klingt hingegen das, was die zur Madsack-Gruppe gehörenden Chefredaktionen bzw. Verlagssprecher*innen von Lübecker Nachrichten, Hannoversche Allgemeine Zeitung und Neue Presse auf Anfrage der NORDSPITZE unisono verlautbaren: „Gemeinsam mit unseren Partnern im Verbund der Madsack-Mediengruppe konnten und können wir die Versorgung mit Papier sicherstellen, so dass unsere zahlreichen treuen Abonnentinnen und Abonnenten der Print-Ausgabe wie gewohnt mit ihrer gedruckten Zeitung in den Tag starten können“, heißt es in gleichem Wortlaut aus den drei Häusern. Und weiter: „Die Akzeptanz der digitalen Alternativen wächst gleichzeitig stark. Unser E-Paper findet nicht allein wegen der Vorteile in der Aktualität immer mehr Freunde, und das Plus-Abo begeistert eine neue, jüngere Zielgruppe. Die Redak- tion arbeitet mit großer Freude an der Entwicklung multimedialer Angebote“, schreibt die Madsack-Gruppe – und schiebt überraschenderweise hinterher: „ohne dabei die tägliche Printausgabe zu vernachlässigen.“

Klare Worte findet hingegen Robert Dunkmann, Geschäftsführer der Zeitungsgruppe Ostfriesland und der Ostfriesischen Nachrichten: „Wir werden uns mittelfristig aus der flächendeckenden Zustellung zurückziehen. Wir müssen stärker zum E- Paper-Abo kommen.“ Noch in diesem Jahr werde es deshalb eine neue App geben. Auch beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz), der unter anderem das Flensburger Tageblatt herausgibt, denkt man über das Thema Zustellung von Print- Ausgaben nach: „An die Abonnenten haben wir die Energiekosten und den Mindestlohn für die Zustellung weitergeben müssen“, berichtet Chefredakteur Hans Kläsener. „Das ist nicht witzig in einem Flächenland mit Inseln und tidenabhängigem Andruck. Manchmal fragen wir uns, warum für alle möglichen Infrastrukturen Geld da ist – für eine unabhängige Informationsversorgung aber nicht. Es kann doch nicht sein, dass wir über Inklusion und Partizipation als Grundrecht sprechen, aber über die kalte Küche die Zeitungszustellung auf dem platten Land unbezahlbar machen.“ Der Zugang zu den Zielgruppen gelinge aber auch über die digitalen Produkte: „Dort spielt sich sehr vieles ab, und es macht Spaß, ein Publikum zu erreichen, das uns manche nicht zugetraut hätten“, sagt Kläsener. Lokaljournalismus habe durch die Corona-Pandemie an Akzeptanz gewonnen, sowohl digital als auch gedruckt.

Wie Schallplatten wird Gedrucktes zum Luxus-Gegenstand

Um die Auswirkungen der Papierkrise auf das gedruckte Wort zu beschreiben, stellt ein Verlagsmanager schon historische Medien- vergleiche an: „Die Zeitung wird zu etwas Besonderem. Genauso wie das vor einigen Jahren mit der Schallplatte geschehen ist“, sagt Arist von Harpe, Geschäftsführer der Hamburger Morgenpost. „Dabei ist klar, dass die Erlöse viel stärker von digitalen Aktivitäten herkommen müssen.“ Und auch Hans Kläsener ist davon überzeugt, dass es ein Nebeneinander von gedruckten und digitalen Produkten ergeben wird, „so wie es Radio und Fernsehen gibt. Print war schon immer Premium und wird es noch stär- ker werden“, so der shz-Chefredakteur. „Dass die gedruckte Zeitung am Papiermangel stürbe, ist eine ulkige und unrealistische Annahme!“

Ganz aufs Digitale umzustellen, kommt auch für den Verleger des traditionsreichen Stadtmagazins Mix in Bremen nicht in Frage: „Wir leben ganz klar vom Gedruckten“, sagt Torsten Höner. „Print wird schon lange totgesagt, aber es lebe die Haptik. Es geht dann doch immer weiter.“

(Florian Vollmers)

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