Journalisten und ihre (Ex-)Kollegen in Pressestellen
Not, Tugend und Versuchung
Politik-Redakteur Hans-Ulrich Brandt vom Bremer Weser-Kurier hat immer häufiger mit Pressesprechern zu tun, die früher so wie er in einer Redaktion beschäftigt waren. (Foto: Christina Kuhaupt)
Der Sparzwang lässt Journalisten immer weniger Raum für Recherche und Vor-Ort-Besuche, während Ex-Redakteure als Pressesprecher anheuern und immer professionellere PR-Arbeit leisten. In der Folge steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Pressemitteilungen eins-zu-eins in die Medien kommen. Was bedeutet das für die Meinungsvielfalt? Die NORDSPITZE hat in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein nachgefragt.
Was sich seit seinen Anfangsjahren als Journalist verändert hat, schildert Peter Höver so: „Früher bin ich am Sonnabend zum Parteitag gegangen und konnte am Sonntag in Ruhe noch einmal nachrecherchieren und meinen Beitrag schreiben“, so der gebürtige Westfale, der 1981 als Redakteur bei den Kieler Nachrichten seine Karriere startete. „Später bin ich sonnabends zu Parteitagen gefahren, habe eine inzwischen eingestellte Sonntagszeitung bedient – Kommentar inklusive –, die Online-Redaktion beliefert, ein Video-Interview geführt, zuletzt auch live via Facebook berichtet und natürlich auch noch die Montagsausgabe beliefert.“ Mittlerweile hat Höver die Seiten gewechselt, er ist seit 2017 Regierungssprecher und Leiter der Presse- und Informationsstelle der Landesregierung Schleswig-Holstein in Kiel. „Meine Beobachtung seit mehr als einem Jahrzehnt ist: Pressestellen werden immer weiter professionalisiert. Und Redaktionen – zumal von Regionalzeitungen – können da kaum mithalten.“
Ohne Zweifel unterliegt die Beziehung zwischen Journalisten und Pressesprechern einem starken Wandel. Die Zahl der für die Redaktionen tätigen Journalisten nimmt stetig ab, und viele ehemalige Journalisten wechseln in Pressestellen von Unternehmen und Institutionen. In der Folge kommen Pressemitteilungen immer häufiger nahezu unbearbeitet in die Medien – nicht nur, weil Redakteuren keine Zeit mehr bleibt, sie zu hinterfragen, sondern auch, weil Ex-Journalisten in den Pressestellen sie bereits auf individuelle Bedürfnisse hin vorbereiten. Eine Art Verlagerung der journalistischen Aufgaben in die Pressestellen findet statt – mit entsprechenden Auswirkungen auf Meinungsvielfalt und Einfluss der publizierenden Medien.
Auch in Bremen sind in den vergangenen Jahren mehrere frühere Redakteurinnen und Redakteure in die Funktion von Pressesprechern der senatorischen Behörden gewechselt. Zu ihnen gehört Rose Gerdts-Schiffler, ehemals Polizei- und Gerichtsreporterin beim Weser-Kurier und heute Pressesprecherin des Bremer Innensenators. „Es hat den Vorteil, dass ehemalige Redakteure antizipieren können, was vermutlich von ihren früheren Kolleginnen und Kollegen nachgefragt wird, was für Fakten von Interesse sein könnten und was auf keinen Fall in einer PM oder auf einer PK fehlen darf“, sagt Gerdts-Schiffler. „Es hat weiterhin den Vorteil, dass der Druck, unter dem die Redakteure und Journalisten arbeiten, in den Pressestellen nachvollzogen werden kann. Ich kann erklären, warum die Journalisten so drängeln – und dass dies keinesfalls anmaßend ist, sondern dem Konkurrenzdruck und den internen Abläufen in den Redaktionen geschuldet.“ Das habe meist zur Folge, dass die Abteilungen und Referate eher geneigt sind, die Pressesprecherin so zeitnah wie möglich bei der Beantwortung von Anfragen zu unterstützen.
Jens Meyer-Odewald, Chefreporter beim Hamburger Abendblatt, stimmt zu: „Aus meiner Sicht ist es absolut positiv, wenn Ex-Journalisten in Pressestellen überwechseln. Die kennen unsere Arbeitsweisen genau und wissen, welche Informationen wir wirklich brauchen. Wir Journalisten sind auf gute Pressesprecher angewiesen.“ Pressestellen sollten im journalistischen Sinne professionell arbeiten und Fakten und Zitate liefern: „Wenn die Leute aus den Marketingabteilungen nur heiße Luft verbreiten, ist das für meine Arbeit völlig wertlos. Wünschenswert sind für mich gegenseitiges Vertrauen, Kontakte auf Augenhöhe und dass man nicht veräppelt wird.“ Meyer-Odewald nennt als positives Beispiel die Hamburger Stadtreinigung, wo die Pressestelle jeden Herbst einen neuen Dreh findet, um über die Laubmassen in der Stadt zu informieren. „Das sind interessante Vorlagen, mit denen wir etwas anfangen können.“
Die Gefahr, dass Öffentlichkeitsarbeit journalistische Arbeit teilweise ersetzt, sieht auch Ulrich Metschies aus der Nachrichtenredaktion der Kieler Nachrichten: „Die Übernahme mundgerecht formulierter Statements und ganzer Passagen aus Pressemitteilungen ist im redaktionellen Tagesstress immer wieder eine Versuchung“, berichtet der Redakteur. Wenn ein Termin nicht besetzt werden könne, werde eben „die
Rundum-Sorglos-PM“ verarbeitet: nachrichtlicher Einstieg, Zitate, Hintergrundfakten, Fotos. „Trotzdem ist eine gute Pressemitteilung an sich ja noch kein Angriff auf die Unabhängigkeit des Journalismus“, schränkt Metschies ein. „Sie ist in der Regel unproblematisch bei Personalien, Terminvorschauen und vielen Servicethemen. Gefährlich wird es jedoch, wenn kritische Themen ohne Recherche aufgeschrieben werden.“
So sieht das auch Hans-Ulrich Brandt, Politik-Redakteur beim Weser-Kurier in Bremen: „Generell ist die Tendenz schon zu beobachten. Das heißt aber jetzt nicht, dass Pressemitteilungen inflationär und eins-zu-eins in Tageszeitungen zu finden sind.“ Im Politikressort des Weser-Kuriers habe sich am Arbeitsverhältnis zwischen der Redaktion und den Pressestellen im Wesentlichen nichts geändert. „Dann und wann zitieren wir aus Pressemitteilungen. Das war es“, berichtet Brandt. „Pressestellen geben uns Auskünfte und vermitteln Kontakte. Das war und ist stets kritisch zu reflektieren, denn immer muss auch klar sein: Pressestellen arbeiten im Sinne ihrer Partei, Firma oder Organisation.“ Ein wachsender unkritischer Umgang mit Pressemitteilungen sei daher negativ zu sehen. „Ich stelle bei Pressekonferenzen dann und wann fest: Immer mehr Journalisten fehlt sowohl der nötige Sachverstand als auch die Courage, unangenehme Fragen zu stellen“, sagt Hans-Ulrich Brandt. „Wer meint, eine Recherche über eine Pressestelle reiche aus, um Enthüllungsjournalismus zu betreiben, ist kein ernstzunehmender Journalist. Und die Pressestellen sollten gar nicht erst versuchen, unseren Job zu machen.“ Brandt plädiert deshalb für einen nüchternen, professionellen Umgang: „Jeder sollte seine Rolle kennen und beherrschen, dann funktioniert die Zusammenarbeit auch.“
Eine unterschiedliche Ausprägung des Trends je nach Medium beobachtet Ute Kretschmann, Pressesprecherin der Handwerkskammer Hamburg: „Bei bunten Magazinen mit kleinem Verkaufspreis habe ich oftmals erlebt, dass die Inhalte komplett aus der Pressestelle geliefert werden, ebenso Fotos zum Thema“, erzählt Kretschmann. „Bei vielen tagesaktuellen Medien hingegen, allemal bei den großen Redaktionen, verläuft die Zusammenarbeit in klassischer Weise. Die Pressemitteilung oder der Hinweis der Pressesprecherin auf ein Thema und die Vermittlung von Kontakten zu Protagonisten ist nur der Anlass für eigene Recherchen.“ Es gebe noch Journalisten, die in Ressorts arbeiten und die Chance haben, sich in Themenfelder tiefer einzuarbeiten. „Die Zusammenarbeit mit diesen Kollegen ist sehr konstruktiv und effektiv – auch wenn das, was man zu einem Sachverhalt als Pressesprecherin sagen kann, manchmal nicht das ist, was eine Redaktion erwartet.“
Weil viele Redaktionen ausgedünnt werden, fehlten oft direkte Ansprechpartner und das Verhältnis werde anonymer, sagt Melanie Kamann, Pressesprecherin und Head of External Communications bei Dräger in Lübeck. „Wirklich langjährige vertrauensvolle Kontakte zwischen Journalisten und Pressesprechern werden seltener.“ Immer häufiger könnten Tageszeitungen vorgeschlagene Themen nicht aufgreifen, obwohl sie sie spannend finden. „Es fehlt einfach an Personal – sei es für Vor-Ort-Termine oder für Recherche.“
Dass Pressestellen in Ministerien, Unternehmen oder anderen Institutionen professionalisiert werden, sei grundsätzlich positiv zu bewerten, bilanziert Regierungssprecher Peter Höver aus Schleswig-Holstein. „Dennoch sehe ich die Entwicklung in der Medienlandschaft mit großem Unbehagen.“ Recherche brauche Zeit, die manchen Journalistinnen und Journalisten immer weniger zur Verfügung stehe. Sorgfältige Recherche und überzeugender Faktencheck seien im schnelllebigen Zeitalter von sozialen Medien und grassierender Fake News unverzichtbar, urteilt Höver. „Zeitungen und andere Medien sind keine Produkte aus dem Supermarkt. Hier geht es um die Wächterrolle, um Mitwirkung an Meinungsbildung, also um die Demokratie.“
Dafür sieht Rose Gerdts-Schiffler als Pressesprecherin des Bremer Innensenators auch die Öffentlichkeitsarbeit in der Verantwortung: „Da ein Teil der Journalisten bei Pressekonferenzen tatsächlich nie nachfragt und ich nicht einschätzen kann, was ich an Wissen voraussetzen kann, schreibe ich zu komplexen Themen sehr ausführliche Pressemitteilungen. Damit versuche ich abzusichern, dass diese Journalisten zumindest nichts Falsches wiedergeben.“ Im vergangenen Herbst hatte die Behörde einen Termin zum Thema „Die Neuen Rechten – Gefährliche Extremisten im neuen Gewand“. Dafür müsse man verstehen, was sich hinter „Ethnopluralismus“ oder „Gleichbehandlung der Gleichen“ verbirgt, erklärt Rose Gerdts-Schiffler. „Vorsichtshalber habe ich auch hierfür eine ausführliche PM geschrieben. Das Thema ist zu wichtig, als dass womöglich aus Missverständnissen fehlerhafte Artikel entstehen.“
Denkt man den aktuellen Trend konsequent zu Ende, wäre das nicht nur das Ende für die Meinungsvielfalt, sondern auch das Aus für klassische Zeitungen, für das Fernsehen, den Hörfunk und für journalistische Online-Angebote, betont Pressesprecherin Ute Kretschmann. „Denn es gäbe keinen Grund mehr, ein solches Produkt zu kaufen, wenn ich doch im Internet so viele Informationen gratis bekomme und keinen Unterschied ausmachen kann.“ Jede Redaktion müsse für sich ein Alleinstellungsmerkmal setzen, das man woanders nirgends in dieser Form bekommt. „Und das geht nicht mit abgedruckten Pressemitteilungen.“
Eine Insel der Seligen scheint der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu sein: „Ich kann diese Entwicklung für die NDR-Redaktionen nicht bestätigen. Wir recherchieren und formulieren selbst, machen eigene Interviews und Bilder“, erklärt Klaus Albert aus der Redaktion Landespolitik beim NDR Fernsehen in Kiel, ohne den generellen Trend abzustreiten: „Die Glaubwürdigkeit und die Vielfalt der Medien wird beeinträchtigt, die Abhängigkeit von Pressestellen wächst“, findet auch Albert. Die Reputation der Redaktionen, die so arbeiteten, werde beschädigt. „In Zeiten wirtschaftlichen Drucks gibt es keine einfachen Lösungen. Wichtig ist, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Unabhängigkeit ein hohes Gut ist.“
Das sieht auch Dräger-Sprecherin Melanie Kamann so: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine starke und freie Presse brauchen – auch und gerade für unsere Arbeit als Pressesprecher. Ohne die Glaubwürdigkeit einer freien Presse ist auch unsere Arbeit nichts wert. Ich wünsche mir, dass Journalisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten für dieses hohe Gut einstehen und es verteidigen.“
Florian Vollmers
DJV-Kongress „Brückenschlag – Kommunikation in unruhigen Zeiten“
Das gab es lange nicht im DJV: eine Fachtagung, die sich speziell an Journalistinnen und Journalisten in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit richtet. Die Veranstaltung mit dem Titel „Brückenschlag“ findet am 22. März 2019 (10-17 Uhr) statt. Tagungsort ist ALEX Berlin am Medienstandort Oberbaum-City in Berlin-Friedrichshain. Auf dem Programm stehen Diskussionen, Vorträge und Workshops zu Themen wie Multichanneling, Influencer Marketing oder PR und künstliche Intelligenz, inklusive praktischer Tipps für Seitenwechsler zwischen berichtendem Journalismus und PÖ.
Die Teilnahme kostet 150 Euro, DJV-Mitglieder zahlen 75 Euro, Studierende und Volontäre 50 Euro. Informationen und Anmeldungen unter https://brueckenschlag.online/