Nordspitze (Auswahl HH)
Medienwissenschaftlerin Andrea C. Hoffmann zu aktuellen Entwicklungen im Journalismus
Seit Frühjahr 2022 lehrt Andrea C. Hoffmann als Professorin für investigativen Journalismus an der HAW Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kriegs- und Krisenberichterstattung.
Zudem beschäftigt sie sich mit Auslandsjournalismus, grenzüberschreitendem Journalismus sowie den psychologischen Auswirkungen der Reporter*innen-Tätigkeit auf Journalist*innen und Fragen der Medienaneignung. In der NORDSPITZE nimmt sie zu einigen aktuellen Entwicklungen in den Medien Stellung.
Alle Gruner+Jahr-Zeitschriften sind auf dem Prüfstand und die Belegschaft in den Redaktionen stark verunsichert: Hat das Medienhaus am Markt noch eine Perspektive, nachdem es von RTL geschluckt wurde?
Das können die Manager von RTL und Gruner+Jahr sicher besser beurteilen, aber nach allem, was man lesen und hören kann, ist die Situation für die Zeitschriften dort schwierig. Ich bin mir nicht sicher, ob die Unternehmensberater und die Kaufleute in den Verlagen immer das richtige Gefühl dafür haben, dass Zeitschriften etwas Unverwechselbares ausstrahlen und dass jede einzelne Redaktion ein eigener Organismus ist.
Das bedeutet was?
Das bedeutet, dass man diese Einheiten nicht einfach zusammenlegen oder austauschen kann wie eine Maurerkolonne auf einer Großbaustelle. Ich glaube auch, dass ein RTL- Fernsehredakteur und eine Stern-Reporterin ganz unterschiedliche Qualifikationen haben und deshalb auch nur bedingt für Synergien taugen. Man kann nicht alles, was schreibt und sendet, einfach zusammenlegen, durchmischen und wieder auseinandernehmen. Ich fürchte, das wird weder für die Beschäftigten dort noch für die journalistischen Produkte selbst zu einer Verbesserung führen.
Welche Auswirkungen prognostizieren Sie nach den Affären um RBB und NDR für die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender und was sollten die Sender aus den Affären lernen?
Die Art und Weise, wie einige wenige Menschen in den oberen Etagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Nachteil der großen Masse der dort Beschäftigten mit Geldern und Privilegien umgegangen sind, ist bereits ausführlich beschrieben worden und hat die ohnehin schon schwierige Lage der Sender weiter verschlechtert.
Inwiefern?
Medien stehen generell unter Verdacht, einem Mainstream zu folgen und manche gesellschaftlichen Probleme nur noch von einer Seite aus zu reflektieren. Ich glaube zwar, dass wir angesichts des breiten und pluralistischen Angebots an Medien gerade in Deutschland keine Lücken lassen, wie gerne von manchen behauptet wird. Aber gerade die öffentlich-rechtlichen Sender stehen als „staatliche“ Medien unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck, weil sie von Gebührenbeiträgen leben und trotz zunehmender Werbung und steigender Einnahmen immer mehr Geld verbrauchen. Manches in den Affären in den Funkhäusern erinnert an die Gutsherrenart früherer Zeiten. Dem kann man nur durch Kontrollen und Transparenz begegnen. Diese Konsequenz ziehen die Sender ja jetzt auch – man schaut künftig genauer hin, und das ist auch richtig so.
Twitter gilt als beliebteste Social Media-Plattform von Medienschaffenden: Was bedeutet die Twitter-Übernahme durch Elon Musk für den Journalismus?
Die Medienschaffenden selbst neigen dazu, ihre eigene Blase zu überschätzen – so ist es meiner Meinung nach auch schon lange mit Twitter. Ich würde diese Kurznachrichten auch nicht unbedingt als klassische journalistische Produkte bezeichnen – eher als Meinungsäußerungen mit gelegentlichem Nachrichtengehalt, wenn es gut läuft. Dass Elon Musk gerade dabei ist, seinen für viel Geld erworbenen Dienst durch seine archaische und menschlich unmögliche Art zu zerstören, spricht für sich – und auch gegen eine große Zukunft für Twitter. Ich würde mich nicht wundern, wenn Twitter seine beste Zeit schon hinter sich hat.
Die meisten Verlage setzen inzwischen auf Paywalls und den Verkauf digitaler Abos. Manche testen Einmal-Lösungen für „Casual Reader“, die ohne Abo einzelne Artikel zu lesen bekommen. Werden diese Paywall-Schlupflöcher aus Ihrer Sicht Schule machen?
Die Tatsache, dass die allermeisten Verlage sich bislang gegen die Einmalzahlungen entschieden haben, also nicht einzelne Artikel verkaufen, sondern lieber zeitlich befristete und jederzeit kündbare Abos, spricht ja für sich. Aber ich weiß, dass dieses Bezahlmodell in vielen Verlagen heiß diskutiert wird. Wenn etwa die Sächsische Zeitung jetzt einen anderen Weg geht und Einmalzahlungen anbietet, klingt das in meinen Ohren sehr nach einem Test. Ich bin gespannt, wie er ausgeht. Wenn das Modell funktioniert, dürfte es auf jeden Fall auch in anderen Verlagen Schule machen.
Die Wirtschafts- und Energiekrise trifft auch die Medienhäuser, unter anderem mit hohen Papierpreisen. Wird diese Krise der Digitalisierung einen weiteren Schub bescheren?
Die Papierkosten steigen seit Jahren, das ist nicht monokausal für die Digitalisierung der Zeitungen und Zeitschriften. Natürlich geben der jetzige Teuerungsschub und die damit verbundenen Preiserhöhungen für Zeitungen einer Entwicklung Vorschub, die wir schon lange beobachten. Aber letzten Endes wird es meiner Einschätzung nach ohnehin auf ein anderes Modell hinauslaufen.
Auf welches?
Ich glaube, dass in wenigen Jahren die Zeitungen dazu übergehen werden, unter der Woche nur noch online zu erscheinen und nur am Wochenende eine Papierausgabe anzubieten. Die kann dann auch wesentlich üppiger gestaltet, designt und gedruckt werden, was auch für die Anzeigenkunden attraktiver sein dürfte. Und unter der Woche sparen die Verlage dann Druck-, Papier- und Vertriebskosten, ohne dass die journalistischen Angebote zu kurz kommen.
Die Welt ist im Krisenmodus, manchen Rezipient*innen wird das zu viel und sie beginnen, Nachrichten zu verweigern. Wie lässt sich dieser Trend ändern?
Auf jeden Fall nicht, indem man keine Nachrichten mehr anbietet oder nur noch gute. Diejenigen, die aus Überdruss oder Angst oder aus was auch immer für Gründen den Konsum von Nachrichten verweigern, sind auch nicht gerade die eifrigsten Zeitungs- oder Magazinleser. Und im Fernsehen können diese Leute ja einfach mal kurz umschalten oder ein Getränk aus dem Kühlschrank holen, wenn die Krisen der Welt sie auf ihren Bildschirmen belästigen. Ich würde im Übrigen diese Gruppe nicht überschätzen – weder von der Zahl noch von der Bedeutung her.
Manche werfen den Medien auch vor, dass sie gerade in Krisenzeiten wie diesen nicht zur Beruhigung beitragen, sondern die Krise durch zugespitzte Berichterstattung und Sensationslust nur noch schüren. Teilen Sie diese Einschätzung?
Zunächst einmal ist es nicht die Aufgabe der Medien, zur allgemeinen Beruhigung beizutragen, sondern wahrheitsgemäß zu informieren. Und natürlich fällt diese Wahrheit in letzter Zeit oft ziemlich drastisch aus, vor allem bei der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. Ich sehe aber im Großen und Ganzen mehr Information und Seriosität in der Krisenberichterstattung als Sensations- gier. Aber vielleicht müsste man manchmal stärker dazu übergehen, das Für und Wider zu beleuchten, gerade im Wirtschaftsbereich. Natürlich geht es vielen Firmen schlecht, aber im Dax-Bereich wurden 2022 außerordentlich hohe Gewinne eingefahren.
Die Medienbranche klagt über fehlenden Nachwuchs. Viele junge Leute entscheiden sich gegen nicht tarifierte Jobangebote. Ist Besserung in Sicht?
Ich kann Ihre Beobachtung nicht ganz teilen. Der Andrang bei den Journalistenschulen oder den entsprechenden Studiengängen an den Universitäten ist gewaltig. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg beispielsweise hatten wir im vergangenen Jahr mehr als 1200 Bewerbungen für den journalistisch orientierten Studiengang „Medien und Kommunikation“ – und das für nur 70 Plätze. Journalismus ist immer noch ein Traum- und Modeberuf – und das zu Recht.
Die Fragen stellten Marina Friedt, Christiane Eickmann und Claudia Piuntek.