Als Freie im In- und Ausland unterwegs
"Journalisten müssen sich endlich wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen"
Birgit Wetzel
Birgit Wetzel ist freie Journalistin mit Sitz in Hamburg und berichtet seit mehr als 15 Jahren als Auslandskorrespondentin aus den USA, aus Osteuropa und Südostasien - unter anderem für den NDR, den WDR und den Deutschlandfunk. Wie dramatisch sich die Arbeitsbedingungen für die Berichterstattung aus dem Ausland verschlechtert haben, musste sie am eigenen Leib erfahren. Im Interview mit der NORDSPITZE fordert Birgit Wetzel eine massive Stärkung von Auslandskorrespondenten, um Meinungsvielfalt und Demokratie in Deutschland zu erhalten. Frau Wetzel, Sie berichten seit vielen Jahren als freie Auslandskorrespondentin aus Osteuropa, aus Asien, früher auch aus den USA. Wie haben sich die Arbeitsbedingungen verändert? Die Arbeitsbedingungen haben sich ganz entscheidend verändert. Grundsätzlich sind in den Redaktionen immer weniger Journalisten für immer größere Bereiche zuständig. Es gibt weniger fest angestellte Redaktionsmitglieder, die sich die Zeit für profunde Kenntnisse nehmen können. Stattdessen gibt es immer mehr Kollegen, die nur vor- übergehend oder auf Stundenbasis arbeiten. So entsteht ein Flickenteppich aus Kennern, Nicht-Kennern und "Mitläufern", die nicht qualifiziert sind. Was bedeutet diese Entwicklung für die Qualität der Berichterstattung? Es gibt heute kaum noch Journalisten, die Personen und Entwicklungen im Ausland gründlich kennen, verfolgen und einschätzen - dabei ist das doch eine ureigene, journalistische Aufgabe. Wie sonst unterscheiden sich Journalisten von Social Media-Schreibern? Hinzu kommt, dass die Strukturen des noch vorhandenen Korrespondenten-Netzes total veraltet sind. Wie kann es heute noch sein, dass die Korrespondenten der ARD in Moskau für den ganzen postsowjetischen Raum zuständig sind? Und das, obwohl fast jedes Land der Region ganz unterschiedliche Transformationsprozesse durchläuft. Wer in Moskau platziert ist, kann nicht hintergründig aus und über den Kaukasus berichten. Und auch nicht über die Entwicklungen in Zentralasien. Und wer mit "Moskauer Brille" anreist, wird von Anfang an sehr skeptisch betrachtet, denn die Kontakte zur einstigen Zentrale des Ostens sind bis heute bei vielen Menschen und Staaten mit unguten Erfahrungen aus der Geschichte stark belastet. Was muss sich also ändern? Die Redaktionen brauchen mehr qualifiziertes Personal und Ressourcen, mit denen authentische Berichterstattung vom Ort des Geschehens umgesetzt werden kann. Als Journalisten müssen wir uns so durch gute Beiträge abgrenzen von Social Media und von den staatlich initiierten Beiträgen, die zum Beispiel aus Russland zu manipulativen Zwecken in die Öffentlichkeit lanciert werden. Die Glaubwürdigkeit der Medien steht auf dem Spiel. Welche politische Dimension sehen Sie dabei? Deutschland spielt international eine viel wichtigere Rolle als noch vor fünf Jahren. Die Außenpolitik hat Aufgaben übernommen, von denen der Wähler und Steuerzahler mehr erfahren sollte. Diese Informationen müssen journalistisch gut aufbereitet sein, dann sind sie nicht nur relevant, sondern auch interessant und werden von den Menschen wahrgenommen. Das Problem dabei ist nur: Wer oberflächlich funktionierenden Redaktionen solche aktuellen und wichtigen Themen anbietet, gerät heute nur mit großem Glück an die Kolleginnen und Kollegen, die deren Relevanz einschätzen können. Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung ein? Was für Folgen hat das alles? Die oberflächliche Berichterstattung hat sich zu einem Mainstream entwickelt, aus dem sich kaum jemand heraustraut, weder in der Tiefe noch in der Breite. Dadurch nehmen wir Vieles nicht mehr wahr, was um uns herum geschieht. Bei der Auslandsberichterstattung bleiben Zusammenhänge und Hintergründe auf der Strecke. Das erschwert nicht nur den Entscheidern in Politik und Wirtschaft die Orientierung, sondern auch den Steuerzahlern, weil sie nicht ausreichend unterrichtet werden. Wir Journalisten müssen viel umfassender informieren. Wenn Redaktionen so dünn besetzt werden, wie es der Trend ist, dann müssen freie Journalisten mit soliden Kenntnissen die Redaktionen ergänzen. Doch die haben oft Probleme mit der Finanzierung... Und wie! Wer als freie Journalistin oder freier Journalist aus dem Ausland berichtet, dem wird nicht einmal die Reise bezahlt, und schon gar nicht Tagessätze, vor Ort benötigtes Geld oder Essen. Das muss sich ändern! Wie kann man das ändern? Wir brauchen erstens einen offenen, scharfen Blick für das, was wichtig und relevant ist, hier und im Ausland! Darüber hinaus benötigen wir gute Vermittlerinnen und Vermittler, die das, was wichtig ist, allgemeinverständlich, interessant und unterhaltsam an die Zuschauer, Zuhörer und Leser liefern. An unterschiedliche Zielgruppen wohlgemerkt. Und ganz entscheidend ist schließlich eine angemessene Bezahlung für soliden Qualitätsjournalismus! Was bedeutet die derzeitige Entwicklung der Medienlandschaft für die Meinungsvielfalt? Die Medienvielfalt ist in Deutschland mittlerweile stark reduziert, weil man für Journalismus kein Geld mehr ausgeben will. Vieles in unserer Branche entsteht durch Kopieren oder Wiederverwerten. Qualität hat aber einen Preis, und guter Journalismus kostet Geld. Wir brauchen endlich wieder mehr Vielfalt und mehr authentische Informationen aus dem Ausland! Wie sieht ein Medien-Modell der Zukunft aus, mit dem Qualitäts-Auslandsberichterstattung funktionieren kann? Medien in Deutschland müssen sich ihrer Rolle bewusst werden. Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat Kernaufgaben, auf die er sich endlich wieder besinnen sollte. Er muss den mündigen Staatsbürger und Wähler umfassend und authentisch informieren. Dazu gehört, dass man auch etwas über Zentralasien und den Kaukasus erfährt, damit der Steuerzahler weiß, was dort mit seinen Millionen Euros geschieht. Überall dort, wo sich die deutsche Außenpolitik engagiert, muss den Bürgern erklärt werden, warum sie oder er für diese Regionen bezahlt. Unwesentlich ist die Orientierung an Klickraten - die gehört den privaten Sendern! Gibt es denn aus Ihrer Sicht irgendetwas, das besser geworden ist? Ja, die Sendungen sind im Internet verfügbar, ich halte das für eine echte Bereicherung. Gut ist auch, dass Journalisten von den "Kunden" Rückmeldungen bekommen. Was wünschen Sie sich ganz persönlich für die Zukunft Ihrer Arbeit? Zunächst mal endlich eine angemessene Bezahlung. Außerdem eine gute Zusammenarbeit mit Redaktionen. Wenn die ihre Stärken und Schwächen gut kennen, können sie die schwach besetzten Gebiete mit Beiträgen von Freien bereichern. Seit Jahren fordert der DJV, dass Redaktionen eine Datenbank für Freie und ihre Themen anlegen. Diese Forderung kann ich nur unterstreichen. Mit welchen Aktivitäten haben Sie denn Ihr journalistisches Profil ergänzt, um ausreichend verdienen zu können? Ich halte Vorträge, gebe Schulungen hier und im Ausland und mache ab und zu Moderationen. Umfangreiche Kenntnisse habe ich in zwei Gebieten: Energie und Kaukasus-Zentralasien. Interkulturelles Arbeiten und Fremdsprachen gehören ebenso zum Tagesgeschäft. Sie haben Ihren Hauptsitz in Hamburg. Wie viel arbeiten Sie von dort, und wie viel der Zeit sind Sie tatsächlich vor Ort? Gut die Hälfte des Jahres bin ich im Ausland, im Osten zwischen der Türkei und China, in Aserbaidschan und Georgien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan oder auch in Russland. Ich spreche Russisch und kann daher mit den Menschen direkt reden. Wenn ich in Deutschland bin, dann sehr viel in Berlin, wo mein zweites Büro ist. Der direkte Kontakt zu den Akteuren ist wichtig, um zu verstehen, was läuft, hier und im Ausland. Wie ist es denn mit den Arbeitsbedingungen im Ausland vor Ort? Gibt es auch dort einen Trend? Die Bedingungen sind von Land zu Land ganz unterschiedlich. In den vergangenen 15 Jahren sind sie eher einfacher geworden, durch Smart Phones und Internet. Ich arbeite viel in Ländern mit staatlicher Überwachung. Ich habe inzwischen ein recht gutes Gespür für das, was ich mir in dem jeweiligen Land erlauben kann. Und das ist oft mehr, als es am Anfang scheint. Es ist wichtig, sich zuerst einmal umzuschauen und umzuhören und dann Respekt und ein gutes Maß an Vertrauen aufzubauen. Gibt es derzeit eine Region, aus der Sie besonders gern berichten? Sehr gerne bin ich im Kaukasus. Ich liebe die Menschen dort und habe viele gute Freunde in Georgien und Aserbaidschan. Das schafft tiefe Verbindungen und Verständnis für- einander, auch wenn es schwierig ist, zuverlässig von dort zu berichten. Georgien hat eine ganz andere Kultur: Zahlen, Pünktlichkeit und Genauigkeit haben keinen Platz, dafür sind Freunde, Familie und Feiern sehr wichtig. Wer solide Informationen bekommen will, braucht dort viel Geduld und Zeit. Auch aus Zentralasien berichte ich gern. Die Handelsrouten zwischen der EU und China - die neue Seidenstraße - werden kräftig ausgebaut. Aber bei uns ist das kaum bekannt, und das, was hier bekannt ist, trifft zum großen Teil nicht mehr zu. Es wird im Journalismus auch viel mit Stereotypen gearbeitet. Kasachstan wird im kommenden Jahr die Expo 2017 ausrichten. Dabei geht es um erneuerbare Energie. Aber wer weiß das hier schon? Würden Sie dem Nachwuchs heute empfehlen, eine Karriere als Auslandskorrespondentin anzustreben? Und was braucht man dafür? Wer aus dem Ausland berichtet, muss gut und respektvoll mit fremden Menschen Kontakt aufnehmen können, mit allen Sinnen arbeiten und gut beobachten. Sprachkenntnisse helfen sehr, um in direkten Kontakt zu kommen. Außerdem sollte man in der Lage sein, sich auf die Regeln in der fremden Umgebung einzulassen. Das klingt sehr abstrakt, funktioniert aber und ist sehr wichtig. Aber natürlich würde ich diesen Beruf empfehlen, denn wir brauchen qualifizierte Auslandskorrespondenten auch in Zukunft, um Meinungsvielfalt und Demokratie zu sichern! Die Fragen stellte Florian Vollmersaus: Nordspitze 1/17