Über Pressefreiheit, Internet-Pöbeleien und Polit-Talks im Fernsehen
Interview mit Johannes von Dohnanyi
Johannes von Dohnany
Wir sind weder Staatsanwalt noch Richter noch Henker
30 Jahre lang arbeitete er in Italien, dem Nahen Osten und Asien. Als
Auslandskorrespondent unter anderem für die Schweizer Weltwoche, die
Zeit und die ARD. Es folgten sieben Jahre als Ressortleiter Ausland im
Schweizer Ringier-Verlag. Heute lebt und arbeitet Johannes von Dohnanyi
in Hamburg – als freier Journalist, Moderator und Universitätsdozent
Im Jahr 2005 waren Sie in die Cicero-Affäre verwickelt. Sie haben geholfen, vertrauliche Dokumente des BKA über den Terroristen Al Zarqawi zu veröffentlichen. Es kam zum Verfahren wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat – ein Eingriff in die Pressefreiheit
Die Durchsuchungen der Redaktionsräume in Berlin und im Haus meines Kollegen Bruno Schirra – angeblich wegen „Gefahr im Verzug“, weil seine Frau vergessen hatte, das Badezimmerfenster zuzumachen – waren ein Eingriff in die Pressefreiheit und ein Einschüchterungsversuch. Nach der Spiegel-Affäre und nachdem das Bundesverfassungsgericht die Cicero-Razzia für verfassungswidrig erklärt hat, fand ich es bemerkenswert, dass der Staat es im vorigen Jahr bei Markus Beckedahl von Netzpolitik.org erneut versucht hat.
Bei Jan Böhmermann hat die Bundeskanzlerin die Ermächtigung für ein Strafverfahren nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch erteilt. Ist das eine Entscheidung für den Rechtsstaat und die Presse- und Kunstfreiheit oder dagegen?
Eindeutig für den Rechtsstaat, denn das Gesetz existiert ja, und dann muss es auch als Recht anerkannt werden. Die Qualität des Textes fand ich übrigens erbärmlich. Wenn man sich hinter dem Satz „Ich will Euch mal sagen, was ich nicht sagen darf“ versteckt, finde ich dies feige. Und wenn man sich hinterher beklagt, dass man nicht von der ganzen Republik umarmt wird, dann kann ich nur sagen „If you can’t stand the heat, leave the kitchen“. Ich finde, wir Journalisten dürfen Menschen hart kritisieren, aber nicht in dieser Form unter der Gürtellinie angreifen. Wir sind weder Staatsanwalt noch Richter noch Henker.
Verbale, aber auch tätliche Angriffe auf Journalisten häufen sich, Berichterstatter werden von AfD-Veranstaltungen ausgeschlossen. Wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland?
Die Pressefreiheit ist momentan noch ungefährdet. Aber es gibt gefährliche Anzeichen, die zur Vorsicht mahnen. In der Gesellschaft macht sich ein ruppiger und aggressiver Ton breit. Es ist wichtig, jetzt darüber zu reden und die Aggression einzufangen, denn Widerstand kommt immer zu spät. Wenn Du erst Widerstand leisten musst, hast Du schon verloren.
Wie sollten Journalisten auf Bedrohungen und Hasskommentare reagieren?
Mit Gelassenheit. Mich stört der Reflex, ins Empörungshorn zu stoßen und die Sache damit größer zu machen. Wir Journalisten haben kein Anrecht darauf, gemocht zu werden. Aber wir dürfen natürlich nicht körperlich angegriffen werden. Ich finde es wunderbar, wie Dunja Hayali auf den Facebook-Post reagiert hat und ich finde großartig, was Anja Reschke im vorigen Jahr gemacht hat.
Obwohl das Verfassungsgericht 2010 die Vorratsdatenspeicherung kippte, trat das neue Gesetz im Dezember 2015 in Kraft. Eine Gefahr für den Informantenschutz?
Nur wenn der Journalist fahrlässig ist. Spätestens seit der Cicero-Affäre verzichte ich bei wichtigen Quellen auf digitale oder telefonische Kontaktaufnahmen. Die gute alte Post ist ein hervorragendes Kommunikationsmittel, und man kann sich mit Leuten treffen. Das sollten Journalisten ohnehin wieder häufiger tun: Den Schreibtisch verlassen, rausgehen und gucken, wie das wirkliche Leben ist.
Mehrere Umfragen belegen, dass viele Menschen sich nicht angemessen informiert fühlen und denken, Medien würden absichtlich die Unwahrheit verbreiten. Was ist da schief gelaufen?
Es gibt wenige Länder in Europa, die eine ähnlich große Medienvielfalt anbieten wie Deutschland – die Bereitstellung von Informationen auf allen möglichen Kanälen ist unsere Pflicht, und der Konsument kann ja kostenlos auf sie zurückgreifen. Die Leser, Zuhörer und Zuschauer aber haben die Pflicht, sich umfassend zu informieren. Es ist alles da, die Leute müssen es nur nutzen – insofern ist der Vorwurf falsch, sie würden nicht angemessen informiert. Und bei uns Journalisten ist Folgendes passiert: Wir haben die Auswirkungen des Internets lange Zeit unterschätzt und sind mit den technischen Neuerungen bis heute überfordert. Wir hatten die Deutungshoheit über Ereignisse, dann kam das Internet mit seinen Möglichkeiten.
Und was ist die Konsequenz dieses Wandels?
Was wir anbieten, und das, was viele Rezipienten sich erhoffen, ist häufig nicht deckungsgleich. Und dann ziehen sich diese Teilgruppen der Gesellschaft in Silos zurück, reden am liebsten mit Leuten, die ihrer Meinung sind und ihre Sehnsüchte und Ängste teilen. Es gibt keinen Austausch mit Menschen außerhalb des Silos. Das haben wir zu spät erkannt. Statt zu gucken, was die Leute wollen und ob ihre Sorgen berechtigt sind, haben wir uns über sie lustig gemacht. So ist ein Reflex entstanden, dass man mit bestimmten politischen Vorstellungen und deren Vertretern nichts zu tun haben will.
Was kann man gegen die Glaubwürdigkeitskrise tun?
Wir müssen uns angewöhnen, sehr transparent zu arbeiten und zeigen, wie wir an Informationen gekommen sind, damit der Rezipient nachvollziehen kann, was genau passiert ist. Große Redaktionen haben angefangen, genau das zu tun. Und wir müssen immer wieder argumentativ auf Fehler im Denkkonstrukt des Gegenübers aufmerksam machen, um dessen Positionen zu entkräften.
Laut Rundfunkstaatsvertrag garantiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine unabhängige Berichterstattung. Wird er dem gerecht oder schielen Programmgestalter zu sehr auf Quoten?
Ich glaube, wir stehen bei Nachrichten und Informationssendungen im europäischen Vergleich relativ gut da. Allerdings finde ich die Nachrichtensendungen oft langweilig. Wir sollten aber nicht an den Privilegien der öffentlich-rechtlichen Sender rütteln, weil sie uns eine Qualität und eine Menge an Informationen bieten, die es andernorts nicht mehr gibt.
Bei Polit-Talks wie „Hart aber fair“ oder „Maybrit Illner“ dominieren Gäste mit hohem Unterhaltungswert. Ist das mit dem Informationsauftrag zu vereinbaren?
Böse ausgedrückt sind unsere Politik-Talkshows nichts anderes als Casting-Shows. Man sucht sich die Leute zusammen, die ein gewisses Dezibel-Volumen garantieren.
Weil alle durcheinander reden, es immer lauter wird?
Es ist ziemlich egal, wer was sagt. Hauptsache es ist turbulent amüsant.
Ist also der Unterhaltungswert wichtiger als die Information?
Ich glaube, das ist im Ergebnis so, aber nicht die Absicht. Wir leben in einer permanenten Erregungs- und Empörungsgesellschaft. Alles wird skandalisiert. Kaum ist das Schweinchen aus dem Dorf getrieben, kommt die nächste Scheinriesensau an. Außerhalb des Dorfes wirkt sie noch gewaltig, auf dem Marktplatz ist sie schon klitzeklein. Ich wünsche mir mehr Bedacht und Vorsicht für die Talkshows. Es sollten nicht fünf bis sechs Gäste im Kreis sitzen und 45 Minuten aufeinander einprügeln. Ich würde gern malwieder sehen, dass Eins zu Eins oder Eins zu Zwei diskutiert wird – ganz ruhig und sachlich.
Wie „Unter den Linden“ und „Caren Miosga interviewt ...“ ?
Ja, und der Schweizer Frank A. Meyer macht auch solche Sachen. Die Besetzung mit möglichst vielen Polit- und sonstigen -stars, von denen sich jeder seine fünf Minuten Ruhm erschreien muss – das führt zur Ermüdung und zur Abkehr der Menschen von den Polit-Talks. Komplexe Sachverhalte wie TTIP oder die VW-Krise kann man in zwei Minuten eben nicht so erklären, dass der Zuschauer dabei etwas Neues erfährt.
Wer könnte solche Talkshows moderieren?
Ich werde sicher keine Namen nennen, aber natürlich gibt es gute Leute. Auch einige von denen, die jetzt Polit-Talks moderieren, wären vermutlich viel glücklicher, wenn sie nicht jede Woche auf der Empörungswelle mitsurfen müssten. Ich weiß, dass die Sender immer mal wieder über Eins-zu-Eins-Formate nachdenken.
Warum werden die nicht realisiert?
Die fertigen Konzepte liegen in den Schubladen, aber die Politiker trauen sich nicht – das ist eine völlig andere Situation als im angelsächsischen Raum. Sie sagen ab, wenn es heißt, sie sollen alleine befragt werden. Zur Verteidigung der Demokratie, zu der wir Journalisten permanent aufgerufen werden, gehört auch der Mut der Politiker, sich gut vorbereitet und moderat in der Sprache auseinandernehmen zu lassen.
So wie Frauke Petry im Deutsche Welle-Interview?
Tim Sebastian hat Frauke Petry im Talk-Format „Conflict Zone“ gelassen und ruhig, aber in der Sache entschieden, demontiert – obwohl Frau Petry ein hervorragendes Englisch spricht.
Was sollten Sender tun, damit solche Interviews auch hierzulande geführt werden können?
Eine Sendung, in der gezeigt wird, was passiert, wenn Politiker für Einzelinterviews angefragt werden, wäre sicher spannend. Aber Vorsicht, es geht nicht darum, Politiker bloßzustellen. Ein Sender muss Geld in die Hand nehmen und den Mumm haben, eine Sendung fix und fertig vorzubereiten. Nachdem zehn Politiker abgesagt haben, könnte man das Ganze sachlich analysieren und für eine solche Sendung aufbereiten.
Medienkritiker wie Thomas Meyer beklagen, dass einige Journalisten ihre Position ausnutzen, in der politischen Arena mitzumischen. Ist da was dran?
Natürlich. Der Satz von Mathias Döpfner, „wer mit der Bild im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr nach unten“ trifft das arrogante Selbstbild von Journalisten. Wir haben nicht das Recht, in politische Prozesse einzugreifen. Wir sind Beobachter und Berichterstatter. Politiker zu machen und zu zerstören ist nicht unsere Aufgabe.