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Vorwürfe gegen Führungskräfte des NDR

Funkhäuser im Ausnahmezustand

07.07.2022

Der NDR in der Krise: Die Vorwürfe reichen von Vetternwirtschaft bis hin zur Einflussnahme auf die politische Berichterstattung. Betroffen sind bisher die Landesfunkhäuser in Hamburg und Kiel.

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Meldungen. Der Landesfunkhausdirektor in Kiel, Volker Thormählen, hat um einen Monat unbezahlten Urlaub gebeten. Der ihm unterstellte Chefredakteur Norbert Lorentzen ist auf eigenen Wunsch ebenso vorerst von seinen Aufgaben entbunden worden wie die Kieler Politik-Chefin Julia Stein. Die Direktorin des Hamburger Landesfunkhauses, Sabine Rossbach, „hat sich aus der Leitung des NDR Landesfunkhauses Hamburg zurückgezogen“. Sogar im Innen- und Rechtsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags mussten NDR-Vertreterinnen Rede und Antwort stehen. 

„Krisenmanagement ist für die ein Fremdwort“

Zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses liegen naturgemäß noch keine Ergebnisse der – auch vom DJV Nord eingeforderten – rückhaltlosen Aufklärung vor. Der NDR weist auch immer wieder auf die Unschuldsvermutung hin. Aber fest steht: Allein die Vorwürfe führen zu einem massiven Schaden für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – der böse Schein reicht völlig aus. Nach dem Skandal beim Rundfunk Berlin-Brandenburg geht es beim NDR auch um den Kernbereich der wichtigen Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: den unabhängigen Qualitätsjournalismus. Von einem Klima der Angst ist die Rede – nicht nur in Schlag- zeilen, sondern auch in vielen vertraulichen Gesprächen mit DJV-Mitgliedern.

Diesem Klima der Angst will Intendant Joachim Knuth ein Klima des Mutes entgegensetzen. Will er sein Ziel erreichen, muss noch viel geschehen. NDR-Angehörige jedenfalls überzeugt der Intendant noch nicht: „Krisenmanagement ist für die ein Fremdwort“, sagte ein NDR-Journalist gegenüber der NORDSPITZE. Ob es klug ist, Medienanfragen wie beispielsweise der NORDSPITZE nicht zu beantworten?

Erst Antworten anzukündigen, um sie nur einen Tag später ohne Begründung nicht zu geben, ist jedenfalls kein Zeichen für Offenheit und Transparenz – weder nach innen noch nach außen. Die Frage, ob diejenigen, die sich an einer Aufklärung beteiligen, sicher sein können, keine Nachteile zu erleiden, hat NDR- Chef Knuth leider nicht beantwortet.

Lorentzen und Stein überraschend in interner Schalte

Sehr viel Wert legen die NDR-Journalistinnen und -Journalisten darauf, dass es nicht um Kritik an ihrer journalistischen Arbeit geht. Die Vorwürfe richteten sich allesamt an Führungskräfte, ist immer wieder zu hören. Und immer wieder sind Mitarbeitende fassungslos. In einer internen Schalte am 9. September informierte die derzeitige Kieler Chefin Bettina Freitag über den Verlauf der Landtagsanhörung, als sich überraschend Norbert Lorentzen und Julia Stein in der Liste der Teilnehmenden fanden. Zahlreiche Mitarbeitende verließen daraufhin unter Protest die Schalte. Auf eine DJV-Anfrage, ob Bettina Freitag zuvor über die Teilnahme der beiden Freigestellten informiert worden war, teilte der NDR mit: „Es handelte sich bei der von Ihnen geschilderten Schalte um eine interne Veranstaltung. Der NDR wird hierzu öffentlich keine Fragen beantworten und die Veranstaltung intern nachbereiten.“

Kompliment aber an die Recherchegruppe, die sich aus den Redaktionen Panorama, ZAPP, STRG_F und dem Ressort Investiga- tion des NDR zusammensetzt. Ihre Arbeit ist ein Beleg dafür, dass unabhängiger Journalismus auch im NDR funktioniert. Zudem hatte das NDR-Medienmagazin ZAPP nach Bekanntwerden der Vorwürfe in Kiel mit einer Sondersendung reagiert.

(Stefan Endter)

Fragen der NORDSPITZE an den NDR-Intendanten Joachim Knuth

Der NDR steht massiv in der Kritik. Die Vorwürfe reichen von politischer Einflussnahme bis zur Vetternwirtschaft. Die Vorwürfe sind intern auch schon länger bekannt. Was hat der NDR falsch gemacht?

Was muss sich ändern?

Versprechen Sie denjenigen NDR-Mitarbeitenden, die sich an der Aufklärung beteiligen, dass sie keine Nachteile haben werden?

Die Antworten via Pressestelle

„... vielen Dank für Ihre Anfrage. Da Ihre Anfrage sich direkt an den Inten- danten richtet, brauchen wir noch etwas mehr Zeit zur Beantwortung. Gerne beantworten wir Ihre Anfragen morgen im Laufe des Tages. ...“

Zweite Antwort – einen Tag später: „... leider müssen wir das schriftliche Interview absagen. Wir bitten um Verständnis. ...“

Fragen der NORDSPITZE an die Redaktion/Recherchegruppe im NDR

Wie sieht die Redaktion / die Recherchegruppe ihre Rolle bei der Aufarbeitung der Vorwürfe? Wie unabhängig kann sie arbeiten?
Als kritische Journalistinnen und Journalisten im NDR halten wir es für unsere Aufgabe, uns selbst an der Aufklärung möglicher Miss- stände im NDR wie auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt zu beteiligen. Wir wollen und dürfen die kritische Bericht- erstattung nicht nur anderen überlassen, hier geht es auch um uns, unsere Arbeit und unsere eigene Glaubwürdigkeit. Dazu haben wir eine redaktionsübergreifende Recherchegruppe gebildet, zu der feste und freie Mitarbeitende aus den Redaktionen Panorama, ZAPP, STRG_F und dem Ressort Investigation des NDR gehören.

Alle diese Redaktionen legen die- selben hohen journalistischen Maßstäbe an die eigene Bericht- erstattung an und sind kritisch nach innen wie nach außen. Wir entscheiden eigenständig und unabhängig über Themen und ihre Umsetzung und nutzen dafür die Verfahrenswege, die bspw. ZAPP bei früheren Berichten über das eigene Haus etabliert hat. Dazu gehört, dass wir wie üblich Chefredaktion und einen programmbegleitenden Mitarbeiter des Justi- ziariats in unsere Berichterstattung einbinden, darüber hinaus aber keine Einflussnahme von übergeordneten Stellen im Haus zulassen. Dafür haben uns Programmdirektion und Chefredaktion ihre Unterstützung zugesichert. Sollte es in der Praxis zu Konflikten kommen, die diese Unabhängigkeit bedrohen, werden wir unsere Arbeit in dieser Recherchegruppe nicht weiterführen.

(Im Namen der Recherchegruppe Jochen Becker, Iris Ockenfels, Christine Adelhardt)

Fragen der NORDSPITZE an den Redaktionsausschuss

Der NDR steht massiv in der Kritik. Die Vorwürfe reichen von politischer Einflussnahme bis zur Vetternwirtschaft. Die Vorwürfe sind intern auch schon länger bekannt. Was hat der NDR falsch gemacht? 

Die Frage lässt sich erst abschließend beantworten, wenn die Vorwürfe aufgeklärt sind. Das muss jetzt geschehen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass aus unserer Sicht an einigen Stellen im NDR Kritik und Sorgen nicht ernst genug genommen wurden und Aufklärung zu lange gedauert hat. So konnte ein Klima entstehen, in dem sich einige Kolleginnen und Kollegen an Medien außerhalb des NDR gewandt haben. Das sollte so nicht sein. Wir sehen es als Alarmzeichen, wenn es nicht gelingt, Konflikte innerhalb des NDR aufzuarbeiten.

Was muss sich ändern, um die journalistische Unabhängigkeit in Zukunft sicherer zu machen? 

Wir sehen die journalistische Unabhängigkeit für den NDR nicht in Gefahr. Das stellen die Kolleginnen und Kollegen jeden Tag wieder unter Beweis. Es darf aber keineswegs auch nur der Eindruck entstehen, dass es einen politischen Filter gibt. Es ist nötig, sich hier ständig zu hinterfragen. Ebenso ist es nötig, die aktuellen Vorwürfe transparent und gründlich aufzuklären.

Was fordert der Redaktionsausschuss, welchen Beitrag kann er leisten?

Wir fordern transparente und gründliche Aufklärung. Wir wünschen uns, dass überall im NDR ein Klima herrscht, in dem sich Kolleginnen und Kollegen offen und ohne Furcht vor Konsequenzen äußern. Als unabhängiges Gremium ist der Redaktionsausschuss hier immer ansprechbar.

(Für den Redaktionsausschuss Gabor Halasz)

Wie und wo ist die Kontrolle im NDR geregelt?

Im NDR-Staatsvertrag sind vor allem die folgenden Kontrollgremien festgelegt: Rundfunkrat: Oberstes Organ des NDR, überwacht die Einhaltung des Programmauftrags. Wahl/Abberufung des Intendanten und der Mitglieder des Verwaltungsrats, Genehmigung des Wirtschaftsplans

Verwaltungsrat: Überwacht die Geschäftsführung des Intendanten, Programminhalte sind dem Rundfunkrat vorbehalten.

Details unter www.ndr.de/der_ndr/zahlen_und_daten

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Meinung (journalist)