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Bezahlmodellen im Internet

„Es ist grundfalsch, journalistische Arbeit im Netz zu verschenken“


Im Uhrzeigersinn von links: Christian Longardt (Chefredakteur der Kieler Nachrichten), Wolfgang Rath (Redaktionsleiter Bergedorfer Zeitung), Joachim Dreykluft (Online-Chefredakteur Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag), Marcel Auermann (Head of Digital Weser-Kurier Mediengruppe), Gerald Goetsch (Chefredakteur Lübecker Nachrichten) (Fotos: Kieler Nachrichten/Ulf Dahl, Bergedorfer Zeitung/Neff, shz/Michael Staudt, Sebastian Kropp und Lübecker Nachrichten)

Kann die Entscheidung der Zeitungsverlage, in Zeiten der frühen Internet-Euphorie journalistische Leistungen kostenfrei online gestellt zu haben, durch die spätere Einführung von Bezahlschranken erfolgreich korrigiert werden? Seit 2013 arbeiten viele norddeutsche Herausgeber intensiv an der Etablierung von Paywalls und probieren dabei verschiedene Modelle aus. Nach einer ersten Phase der Experimente ziehen sie auf Anfrage der NORDSPITZE alle eine ähnliche Bilanz: Die Gewöhnung der Nutzer an bezahlte Inhalte gelingt – doch die Entwicklung verläuft äußerst zäh. Die Zeit der Findung ist offenbar noch nicht vorbei.So haben die zur Madsack-Gruppe gehörenden Lübecker Nachrichten seit April 2013 eine Paywall, die den Großteil ihrer Artikel dauerhaft hinter eine Bezahlschranke setzt. Nach einem kurzen Einbruch hätten sich die Nutzerzahlen stabilisiert und steigen seitdem, teilt LN-Chefredakteur Gerald Goetsch mit. „Die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen, wächst allerdings sehr langsam“, lautet sein Fazit. Im Verbund der Verlage der Madsack Mediengruppe arbeite man deshalb an einer neuen Digital-Strategie für alle Portale. Die Lübecker Nachrichten setzen dabei auf Exklusivität: „Zur Zeit sind alle Inhalte kostenpflichtig, die nicht an anderer Stelle kostenlos angeboten werden“, berichtet Chefredakteur Goetsch. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender ein umfangreiches Umsonst-Angebot im Netz haben, setze insbesondere Tageszeitungen massiv unter Druck. „Eine Refinanzierung unserer journalistischen Arbeit im Lokalen und Regionalen ist nicht möglich, wenn ähnliche Inhalte parallel gebührenfinanziert und für die Nutzer kostenfrei angeboten werden.“Angesichts der Paywall registrierten die Lübecker Nachrichten ein „erfreulich hohes Interesse“ an ihrem Angebot. „Besonders ausgeprägt ist dies bei spektakulären Ereignissen, Extremwetterlagen und großen lokalen Nachrichten“, berichtet Gerald Goetsch. Die Reichweite lässt sich digital allemal steigern: „Mit unseren über Facebook live gestreamten Talk-Runden zur Lübecker Bürgermeisterwahl erreichten wir jeweils mehrere Zehntausend Nutzer.“ Die Kieler Nachrichten, an denen Madsack ebenfalls beteiligt ist, haben nach Angaben von Chefredakteur Christian Longardt seit 2015 ein sogenanntes Metered Model: „20 Artikel sind dabei frei, vom 21. an wird der User zur Kasse gebeten.“ Longardt weiter: „Die Bereitschaft, für lokalen Journalismus im Internet zu bezahlen, war und ist sehr überschaubar. Wir halten es dennoch weiterhin für grundfalsch, journalistische Arbeit im Netz zu verschenken.“ Dass es Mitbewerber gebe, die diesen Weg gegangen sind, ändere nichts an der Überzeugung, dass die Arbeit der Redaktion einen Preis haben müsse. Konkrete Zahlen möchte Longardt nicht nennen.„Wir sind mehr denn je gezwungen, möglichst viele exklusive Stücke, eigene Hintergründe und besondere Formate zu generieren, um das Preisschild zu rechtfertigen“, blickt der KN-Chefredakteur in die Zukunft. Dies gelte online ebenso wie in der gedruckten Zeitung. „Wir sind mit der aktuell positiven Entwicklung unserer Klickzahlen auf KN Online zufrieden. Was die E-Paper-Auflage angeht, gehören wir zu den besonders erfolgreichen Regionalverlagen.“ Erst im vergangenen März ist Zeit Online mit einem ausgeklügelten Bezahlmodell an den Start gegangen: Bereits vor dem Erscheinungstag der Print-Ausgabe landen alle Inhalte mittwochabends auf der Website. Die Top-Geschichten sind nur den bisherigen und neuen Abonnenten des Digitalpakets vorbehalten. Kurze Teaser halten die Reichweite hoch – dann folgt die Abo-Aufforderung. Bisher führt die Zeit laut einem Bericht des Medienmagazins Horizont rund 55.000 Kunden des Digitalpakets, je zur Hälfte Print-Abonnenten, die gegen Aufpreis auch alle Digitalversionen nutzen können, und reine Digitalleser, die gegen einen Preisabschlag nur auf Apps und E-Paper Zugriff haben.  Alle anderen Inhalte aus sämtlichen vergangenen Ausgaben sind auf Zeit Online registrierungspflichtig. Wer diese Inhalte lesen will, muss sich per E-Mail-Adresse anmelden und bereiterklären, dass Portalnutzungsdaten erhoben werden. Nur eine bestimmte Anzahl von Texten pro Woche soll frei zu lesen sein. „Wir werden viel ausprobieren, Rückschläge erleben, lernen und nachjustieren“, sagt Zeit-Manager Christian Röpke im Gespräch mit Horizont. Grundsätzlich wolle man eher freigiebig beginnen und später bei Erfolg die Schranken restriktiver setzen. Bei der Bergedorfer Zeitung in Hamburg hat man gute Erfahrungen mit dem Verfahren des LaterPay gesammelt: LaterPay funktioniert wie ein digitaler Bierdeckel, wobei die bepreisten Artikel sofort gelesen werden können. Erst wenn man so viele Artikel gelesen hat, dass ein bestimmter Betrag zusammengekommen ist, wird der User aufgefordert, sich einmalig zu registrieren und die Gesamtsumme zu bezahlen. „LaterPay ließ sich technisch unaufwendig integrieren“, berichtet Wolfgang Rath, Redaktionsleiter der Bergedorfer Zeitung. „Dass die Möglichkeit, einzelne Artikel zu kaufen, sehr gut angenommen wird, zeigen die 490 Einzelartikel, die im Durchschnitt pro Woche über das LaterPay-Bierdeckelprinzip gekauft werden.“Nach der Einführung der Bezahlschranke hat sich die Zahl der Page Impressions bei der Bergedorfer Zeitung auf etwa die Hälfte reduziert. Zugleich ging die Zahl der Besucher nur gering zurück. „Aktuell zählen wir rund 320.000 Page Impressions und 190.000 Visits“, berichtet Redaktionsleiter Rath. „Erfreulich bei dieser Entwicklung ist, dass die Nutzer seit Einführung der Bezahlschranke länger auf der Seite verweilen.“ Kritik an der Bezahlschranke wurde besonders in der Anfangszeit in sozialen Netzwerken geäußert. „Es gab aber von Beginn an auch Kommentare, die uns zustimmten, dass Redakteure für ihre Arbeit bezahlt werden müssen“, sagt Wolfgang Rath. „Auch die Absätze haben gezeigt, dass unser Angebot gut angenommen wird. Sie konnten wir in den ersten fünf Monaten um 42 Prozent steigern.“Beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) steht die digitale Zukunft gerade ganz oben auf der Agenda: In Hamburg ist eine redaktionelle Forschungs- und Entwicklungseinheit im Aufbau, die für die gesamte Unternehmensgruppe aus Neue Osnabrücker Zeitung und Medienholding Nord die Frage klären soll: Wie wird ein unabhängiger, nicht subventionierter digitaler Journalismus in Zukunft aussehen? „Hierfür wenden wir erhebliche Investitionsmittel auf“, berichtet shz-Online-Chefredakteur Joachim Dreykluft.Schon jetzt sei der shz „einer der erfolgreichsten Regionalverlage Deutschlands mit digitalen Bezahlinhalten“, so Dreykluft: „Die digitale Zeitung als E-Paper oder App hat eine mittlere fünfstellige zahlende Abonnentenschaft. Hier erwirtschaften wir jährlich einen hohen siebenstelligen Umsatz.“ Bezahlschranken für digitale Angebote, die keine Derivate der Tageszeitung sind, gebe es derzeit aber weder für die Website shz.de noch für die Nachrichten-App. Beim shz sehe man „auch nach jahrelanger intensiver Marktbeobachtung kein Modell, das den technischen und organisatorischen Aufwand durch entsprechende Markterfolge rechtfertigt“, erklärt Online-Chefredakteur Dreykluft diese Strategie. „Es ist der Branche insgesamt noch nicht gelungen, originär digitale Angebote zu schaffen, die beim Leser dazu führen, dass er ein einzelnes Angebot vermissen würde, wenn es nicht mehr vorhanden wäre. Nur das erzeugt aus meiner Sicht Zahlungsbereitschaft.“ Der shz plane aber konkret eine Pflicht zur Registrierung für ausgewählte Artikel. Dadurch wolle man auf dem Weg zu einem funktionierenden Bezahlmodell den Leser „besser kennenlernen“. „Das halten wir für zwingend, um adäquate digitale Angebote machen zu können, die aus Nutzersicht und nicht aus Redaktionssicht wertvoll sind.“Marcel Auermann, Head of Digital der Weser-Kurier Mediengruppe, ist sich sicher: „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Gratismentalität ein Ende haben wird.“ Wie bei allen Verlagen in Deutschland habe man beim Weser-Kurier zwar den Stein der Weisen noch nicht gefunden. „Aber wir arbeiten kontinuierlich an neuen Erlösmodellen und kommen damit gut voran.“ Bei den E-Paper-Abos spiele der Weser-Kurier bundesweit an der Spitze mit, berichtet Auermann. „Aber auf Dauer kann es nicht bei einer 1:1-Abbildung der gedruckten Zeitung bleiben.“ Beim Weser-Kurier entwickele man das Portfolio stetig weiter, gerade auch im Bereich Special Interest: Das aktuelle Leuchtturmprojekt des Verlags ist die Mein-Werder-App, die eine Plattform für alle Werder-Inhalte ist, ob sie nun vom Weser-Kurier oder von anderen Quellen kommen. „Hier leben wir den Gedanken von Online First, der in allen Ressorts und im ganzen Haus von Tag zu Tag immer mehr Raum gewinnt“, sagt Auermann. „Online ist für uns der erste Ausspielkanal.“Für den Head of Digital ist die Entwicklung neuer Online-Angebote und Bezahlmodelle eine Frage des Prinzips: „Informationen und Nachrichten besitzen einen Wert. Ausbildung, Kenntnisse und Fachwissen sind im Journalismus unerlässlich.“ Schließlich käme ja auch niemand auf die Idee, ein Auto oder Brötchen gratis bekommen zu wollen. „Allein, wenn ich an unsere aufwendigen Multimedia-Reportagen, an unsere Kommentare, Analysen und Hintergründe denke – das sind hochwertige Inhalte, die es nur bei uns gibt“, sagt Auermann. „Das alles kann es nicht für lau geben, sondern muss durch vielfältige Bezahlmodelle finanziert werden.“

 

Sabine Spatzek, Claudia Piuntek,
Florian Vollmers

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Immer mehr norddeutsche Zeitungen setzen auf Bezahlschranken oder andere Einnahmequellen im Internet. Es gibt harte Bezahlschranken/Paywalls, bei denen das Online-Angebot der Zeitung nur für zahlende Abonnenten zugänglich ist. Freemium steht für ein Gratis-Basisprodukt mit kostenpflichtigen Erweiterungen: Einige Inhalte sind frei verfügbar, bei exklusiven Inhalten bittet der Verlag zur Kasse. Das Metered Model macht dem digitalen Zeitungsleser eine begrenzte Zahl von Inhalten kostenlos zugänglich. Nachdem der Nutzer sein Kontingent ausgeschöpft hat, kann er sich kostenfrei registrieren, um auf ein weiteres Freikontigent an Inhalten zugreifen zu können. Erst wenn der Leser auch das Freikontingent aufgebraucht hat, wird er zum kostenpflichtigen Abonnement aufgefordert. Laterpay, auch als digitaler Bierdeckel bekannt, wo einzelne Artikel gekauft und ab einer Summe von fünf Euro bezahlt werden, und Plenigo, wo der Verkauf einzelner Artikel, aber auch Bezahlangebote mit Tages- und Wochen-Abos möglich sind, sind Bezahldienstleister. Beim Spenden-Modell entscheidet der User selbst, ob und in welcher Höhe er für digital abrufbare Inhalte bezahlen will. 

cp

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