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Digital-Abos im Norden

Der Kampf um die Käufer


Digitalangebote des Hamburger Abendblatts....

Über viele Jahre haben die Verlage ihr wertvollstes Gut, die von Journalistinnen und Journalisten erstellten Texte, Bilder und Videos, im Internet verschenkt. Und jetzt, im Angesicht teilweise dramatisch sinkender Auflagenzahlen, sollen die Nutzer dazu gebracht werden, dafür zu bezahlen. Die ganze Branche sucht nach Wegen, wie das gelingen kann. Die NORDSPITZE hat sich in einigen norddeutschen Verlagshäusern umgehört.

Immer weniger Menschen wollen Geld für eine gedruckte Tageszeitung ausgeben. Zum Trend passte im November 2019 die Ankündigung der Bremer Tageszeitungen AG, ihre Druckerei in Bremen-Woltmershausen für immer zu schließen. Rückläufige Auflagen führten zu Überkapazitäten und Preisverfall, daher sei das eigene Druckhaus wirtschaftlich nicht sinnvoll, teilte die BTAG mit. Die Druckaufträge für Weser-Kurier, Bremer Nachrichten und Verdener Nachrichten sollen stattdessen an die Druckhaus Delmenhorst GmbH vergeben werden. „Wir glauben, dass diese Entscheidung dazu beiträgt, die Produktion für die nächsten Jahre auf einer wirtschaftlich gesunden Basis aufzustellen“, sagte BTAG-Vorstand David Koopmann.

Selbst Bürgermeister Andreas Bovenschulte sah sich angesichts der Bremer Pressekrise berufen, die Finanzierung von Tageszeitungen aus öffentlichen Geldern mit ins Spiel zu bringen: „Es ist ein Problem, wenn ein wesentlicher Teil der Medien, nämlich die privat organisierten – also im wesentlichen Zeitungen –, wirtschaftlich immer mehr an Boden verlieren“, sagte Bovenschulte im Interview mit Radio Bremen. „In erster Linie müssen die Verlage selber ein tragfähiges Geschäftsmodell für die neue Zeit finden. Aber auch eine Unterstützung der öffentlichen Hand für private Medien ist erforderlich.“

 

Tragfähige Geschäftsmodelle sehen die meisten Verlage inzwischen online: Vom reinen E-Paper, das eine Eins-zu-eins-Version der gedruckten Tageszeitung darstellt, bis zum Web-Abo, das gegen Zahlung Zutritt zu den Inhalten der Homepage verschafft, versuchen sie mit immer neuen Digital-Angeboten, Umsätze zu erwirtschaften. Auf hartem Kurs segelt zum Beispiel die Nordsee-Zeitung in Bremerhaven: Unter nordsee-zeitung.de gibt es bereits seit 2017 nur noch einen nackten Hinweis auf das zu bezahlende E-Paper. Parallel hat der Verlag das „Reichweitenportal“ nord24.de eingeführt, das jedoch als simples Service-Portal funktioniert. Für journalistische Inhalte aus der Region kommt man bei dem Monopolanbieter Nordsee-Zeitung nicht ums Bezahlen herum. Wie erfolgreich das Traditionsblatt mit dieser Strategie ist, gibt es nicht bekannt. Auch beim Weser-Kurier gibt man sich bedeckt: Erst zu Jahresbeginn ist der ehemalige Leiter des Wirtschaftsressorts, Philipp Jaklin, bei den Bremer Tageszeitungen zum „Head of Digital“ aufgestiegen. Man wolle den Digitalauftritt des Weser-Kuriers „neu positionieren“, gibt der Verlagsvorstand bekannt. Zahlen zum Verkaufserfolg von Digital-Produkten sind auch hier nicht in Erfahrung zu bringen. Doch Studien zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft nicht besonders hoch ist.

 

Eine aktuelle Umfrage der Landesanstalt für Medien NRW hat ergeben, dass für mehr als 75 Prozent der Deutschen die Grundidee des Internets ist, Informationen über kostenlose Wege zu verbreiten. Ein großer Teil der Bevölkerung ist offenbar der Auffassung, durch ihren Internetzugang, den Rundfunkbeitrag oder ihren Wert für die werbetreibende Industrie bereits ausreichend zur Finanzierung des Journalismus beizutragen. „Die Zahlen lassen sich nicht beschönigen. Die mangelnde Motivation der Online-Community, für digitalen Journalismus zu zahlen, nimmt die gesamte Branche in die Pflicht, umzudenken“, bilanziert Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW.

 

Beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) sieht man trotzdem Licht am Ende des Tunnels: „Fast die Hälfte der Deutschen kann sich schon heute vorstellen, für Journalismus im Netz zu bezahlen. Und das, obwohl wir etwa bei Reliability oder Convenience noch keine Exzellenz erreicht haben. Aber da arbeiten wir ja dran“, sagt Joachim Dreykluft, Chefredakteur Online und Leiter Digitale Produkte beim shz. „Deshalb bin ich optimistisch, dass es in wenigen Jahren normal sein wird, für lokalen und regionalen Journalismus im Netz zu zahlen.“ Das Web-Abo shz+ kostet im ersten Monat 0,99 Euro und 6,99 Euro ab dem zweiten Monat. „DigitalPremium“ einschließlich der digitalen Tageszeitung kostet 26,90 Euro pro Monat. shz+ gehört zur Mediengruppe NOZ Medien/mhn Medien, die schon vor Monaten bekannt gegeben hat, dass sie mehr als 100.000 Digitalabonnenten hat. Die meisten dieser Abos beinhalten noch das geschlossene Produkt Tageszeitung in Form eines E-Papers. „Wir arbeiten seit einem Jahr sehr stark daran, reine Web-Abos zu etablieren“, berichtet Dreykluft. „Das gelingt gut, wir haben mittlerweile einen fünfstelligen Bestand mit starkem Wachstum.“ Der Digitalchef sieht eine hohe Zahlungsbereitschaft insbesondere für lokale und regionale Inhalte. „Die Menschen wollen Informationen aus ihrem Lebensraum, die sie als relevant empfinden, die ihnen bei der Orientierung helfen, die sie verlässlich erreichen, in ihre Tagesrhythmen passen und angenehm zu konsumieren sind.“

 

Das Hamburger Abendblatt hat derzeit rund 35.000 Digital-Abos, das Wachstum liegt nach eigenen Angaben bei rund 20 Prozent pro Jahr. Die Leser zahlen dafür je nach Angebot zwischen acht und 25 Euro, im Schnitt sind es 15,20 Euro im Monat. „Ich glaube, dass immer mehr Menschen angesichts von Fake-News und Propaganda verstehen, dass unabhängige und überprüfbare Texte und Videos, für die man die Verfasser verantwortlich machen kann, einen Wert haben“, sagt Lars Haider, Chefredakteur des Hamburger Abendblattes. Überproportional viele junge Menschen kaufen Digital-Angebote der Hamburger Zeitung, berichtet Haider. „Unsere Abos sind schnell abschließbar, einfach zu bezahlen und flexibel zu kündigen. Darüber hinaus haben wir gerade bei jungen Leuten große Erfolge mit unseren Podcasts.“

Lars Haider glaubt, dass ständige Nutzerforschung und Anpassung der Digital-Angebote notwendig sind, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben: „Unser Motto ist User first, das sagt vielleicht schon alles“, so Haider. „Wir entwickeln permanent neue Produkte, zuletzt in jedem Monat einen neuen Podcast, aber auch hochwertige Magazine und Videos.“ Zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar sollen auf dem YouTube-Kanal des Hamburger Abendblatts drei Reporter zwischen 16 und 20 Jahren berichten. In Kürze werde es ein „völlig neues, digitales Angebot für eine besondere Zielgruppe geben – und so geht es immer weiter“, prognostiziert Haider.

 

Ähnlich verfährt der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag: „Ich denke, dass das Generalanzeiger-Prinzip, mit dem wir in der Branche seit 150 Jahren arbeiten, im digitalen Zeitalter nur noch bedingt taugt“, sagt Digital-Chef Joachim Dreykluft. „Wir müssen Zielgruppen differenzieren und spezifizieren.“ Zur Erforschung von Mediennutzung haben NOZ Medien/mh:n Medien eigens die Denkfabrik HHLab in Hamburg gegründet. „Wir sind nach meiner Kenntnis das einzige regionale Medienhaus in Deutschland, das explizit Nutzerforschung als Grundlagenforschung zum Verständnis von Zielgruppen betreibt“, sagt Dreykluft, der auch Leiter des HHLab ist.

 

In der Diskussion sind auch „One-Stop-Shops“, bei denen Nutzer – ähnlich wie bei Netflix oder Spotify – auf sämtliche Inhalte zugreifen können, ohne zwischen Anbietern zu wechseln. Redaktionen bündeln so Ressourcen und Kräfte, und auch Nischenanbieter finden ihre Zielgruppe. Die Zahlungsbereitschaft beläuft sich laut Umfrage auf etwa zehn Euro pro Monat. „Finde ich die Idee sympathisch? Ja. Glaube ich, dass sie in der derzeitigen Branchenstruktur realisiert werden kann? Nein“, urteilt Joachim Dreykluft vom shz. „Der Haupttreiber unserer Digitalabos ist, dass wir mit unseren Lokalredaktionen in lokale Communitys eingebunden sind, nicht die Korrespondentenberichte aus aller Welt.“

 

Kritisch auf die gesamte Entwicklung blickt Andreas Olbertz, Lokalredakteur beim shz und Vorsitzender des DJV-Bundesfachausschusses Betriebsratsarbeit und Tageszeitungen: „Ich habe den Eindruck, dass in immer kürzeren Intervallen immer neue, teils widersprüchliche Ideen aus dem Hut gezaubert werden. Mal sollen alle Informationen sofort raus, kurz darauf heißt es: Mit Print verdienen wir immer noch das meiste Geld. Mal werden Online-Redaktionen vor Ort personell verstärkt, kurz darauf wird wieder abgebaut und andernorts zentralisiert neues Personal rekrutiert. Mal heißt es, das Lokale ist unsere Stärke, trotzdem werden aber Stellen nicht besetzt und Lokalredaktionen ausgedünnt.“ Nach seinen Erfahrungen sträubten sich die Kolleginnen und Kollegen nicht gegen notwendigen Wandel, so Olbertz. „Aber auf diesem Weg wollen sie mitgenommen werden, und es dürfen uns nicht immer neue Arbeiten zusätzlich aufgebürdet werden. Die Folgen sind Verunsicherung und Frustration, was Abwanderung und Nachwuchsmangel zur Folge hat.“

 

Den endgültigen Abschied vom Druckerzeugnis will noch keines der befragten Verlagshäuser wagen: „Zum Markteintritt oder zur Stärkung der Markenidentität kann sich die Investition in Printversionen lohnen“, glaubt Joachim Dreykluft vom shz. „Befragte schätzen die kompakte Bündelung der Inhalte und das Gefühl, ein wertiges Produkt in den Händen zu halten. Die Zahlungsbereitschaft ist hier nach wie vor wesentlich höher, und die Empfehlung lautet daher: Best-of-Inhalte auskoppeln und zusätzlich als Printprodukt vertreiben.“ Vor diesem Hintergrund wird sich noch zeigen, ob die Schließung des Bremer Druckhauses eine nachhaltige Entscheidung war.

 

 

Florian Vollmers (Mitarbeit
Claudia Piuntek und Sabine Spatzek)

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