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Kinderzeitungen im Norden

Blick auf die Leser von morgen



Die Auflagen der Zeitungen schmelzen wie Eis in der Sommerhitze, zugleich greifen Kinder und Jugendliche immer seltener zum gedruckten Wort – für die Verlage ist das eine existenzbedrohende Entwicklung. Denn Kinder sind nicht nur die Leser der Zukunft, sie sind auch die nachrückenden Entscheider unserer Gesellschaft. Schon aus Selbsterhaltungstrieb tun die Zeitungshäuser deshalb gut daran, Kinder als Zielgruppe ernst zu nehmen. Die NORDSPITZE hat sich bei einigen Blattmachern im Norden umgehört, wie der Nachwuchs angesprochen werden soll.


Der Weser-Kurier bringt seit Januar jeden Freitag eine eigene Kinderzeitung für die Sechs- bis Dreizehnjährigen heraus. 24 farbige Seiten, mit einem ausführlichen Topthema und wichtigen Nachrichten, nach Ressorts unterteilt, sollen das Interesse an aktuellen Themen wecken. „Kinder wollen mitreden“, meint Marcel Auermann, stellvertretender Chefredakteur und Digitalchef beim Weser-Kurier. „Sie wollen über politisches, wirtschaftliches, kulturelles und gesellschaftliches Geschehen auf dem Laufenden gehalten werden.“ Natürlich werden die Nachrichten kindgerecht aufbereitet, aber „wir biedern uns nicht an“, betont Auermann, der überzeugt ist, dass die Sprache „normal sein muss und nicht durchsetzt von Modewörtern oder einem betont lässigen Stil“.

Außer mitreden möchten Kids mitmachen. „Als Kinderreporter können sie ihre Stars interviewen oder hinter die Kulissen von Einrichtungen schauen“, sagt Sheila Schönbeck, Redakteurin der Kinderzeitung. „Hier öffnen wir Kindern sonst verschlossene Türen, und sie können sich so vielleicht auch für den abwechslungsreichen Beruf des Journalisten begeistern.“ Außerdem soll der Nachwuchs zum Lesen ermutigt werden. Doch wie wird die Zielgruppe erreicht, wo sich die Generation der Digital Natives doch vorrangig mit Tablet und Smartphone in der digitalen Welt bewegt? „Der Weser-Kurier hat neben der Homepage, die oft allererster Anlaufpunkt für User ist, auch Seiten bei Facebook, Twitter, Instagram, Youtube“, so der Head of Digital Auermann. Jeder Kanal spreche unterschiedliche User unterschiedlichen Alters an.

Auch die Lübecker Nachrichten versuchen, auf verschiedenen Kanälen junge Zielgruppen zu erreichen. Dabei setzt das Blatt in erster Linie auf digitale Angebote, die von Jugendlichen viel genutzt werden, „auch und gerade in den sozialen Netzwerken“, so Chefredakteur Gerald Goetsch. „Wir sind uns darüber klar, dass gerade die jüngste Zielgruppe unsere Printangebote nur wenig nutzt.“

Weser-Kurier wie Lübecker Nachrichten engagieren sich seit Jahren im Projekt Zeitung in der Schule (Zisch), an dem Klassen aus dem jeweiligen Verbreitungsgebiet teilnehmen. Nach Angaben von Sheila Schönbeck vom Weser-Kurier wurden damit seit 2003 mehr als 60.000 Mädchen und Jungen an die Tageszeitung herangeführt. LN-Chefredakteur Goetsch: „In diesem Jahr überplanen wir das Programm gemeinsam mit unseren Madsack-Partnerzeitungen. Und wollen dabei der tatsächlichen Mediennutzung junger Menschen Rechnung tragen. Deshalb heißt Zisch nun Mads, was für Medien an der Schule steht.“ Mads soll wie Zisch helfen, die Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern sowie deren Lehrkräften zu stärken. Der Umgang mit Nachrichten, das Erkennen von Fake News sowie ethische Fragen zwischen Medienmachern und Mediennutzern stehen im Mittelpunkt von Mads – nach den Worten von Goetsch „ein zeitgemäßes, interaktives Angebot für Schülerinnen und Schüler“. Die Kieler Nachrichten, ebenfalls ein Madsack-Titel, haben schon vor einiger Zeit von Zisch auf Misch (Medien in der Schule) umfirmiert.

Zisch, Mads und Misch richten sich an Schulkinder. Mit dem Projekt Zikita werden beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) bereits Vorschulkinder mit Print-Medien vertraut gemacht –  sie bekommen die Zeitung in die Kita. Obwohl die Kindergartenkinder noch nicht lesen können, haben sie viel Spaß an der Zeitung, sagt Ina Reinhart, beim shz zuständig für die junge Zielgruppe. Die Vorschulkinder erkennen auf den Fotos Orte und Menschen und lassen sich dazu die Nachrichten vorlesen. „So werden sie auch neugierig aufs Lesen. Und sie lieben Piet und Paula, die Maskottchen unserer Kina-Seite.“ Der shz produziert seit 2007 zusammen mit dem A. Beig Verlag tägliche Nachrichten für Kinder – die Seite Kina ist für Sechs- bis Zwölfjährige konzipiert. Neben aktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur gibt es Berichte zum Beispiel über Kinder aus anderen Bundesländern, Kinder aus aller Welt sowie Rätsel, Comics und Basteltipps. Ina Reinhart: „Auf der Kinderseite erklären wir zum Beispiel, wie Wahlen funktionieren und warum sie wichtig sind. Aber auch, wie Kinder schon politisch aktiv werden können, indem sie sich zum Beispiel in ihrer Schule, in der Nachbarschaft oder in Verbänden engagieren.“ Zudem würden Themen bedient, die in den Medien sonst wenig vorkommen – etwa Mobbing in der Schule oder Berichte über bei den Kids beliebte Youtube-Stars.

Genau wie beim Weser-Kurier können die Nachwuchsleser selbst als Kina-Reporter aktiv werden. Reinhart beschreibt, wie der shz die Zehn- bis 15-Jährigen im Kina-Reporter-Seminar, das jedes Jahr in den Herbstferien in der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg abgehalten wird, an den Journalismus heranführt: „Fünf Tage lang arbeiten dort 30 Kinder und Jugendliche zusammen mit Profis aus der Redaktion, gehen auf Recherchetouren, führen Interviews, schreiben Artikel, schießen Pressefotos und drehen Videos. Am Ende sind sie Kina-Reporter – und die Redaktion weiß nach fünf Tagen gemeinsamer Arbeit, was die junge Zielgruppe denkt, was sie interessiert.“ Natürlich blieben die Jungjournalisten im Anschluss ans Seminar über soziale Medien mit der Redaktion und den anderen Kina-Reportern verbunden.

Kontakt zur jungen Zielgruppe stellen auch die Zeitungsmacher vom shz über das Projekt Zisch her. Schüler erhalten die Zeitung, Lehrer Begleitmaterial für den Unterricht. Ina Reinhart: „Zusätzlich gibt es mittlerweile auch das Projekt iPad-Klasse, das Schülern vermittelt, wie sie sich mit elektronischen Medien umfassend informieren können.“ Außerdem bemüht sich der shz durch Jugendredaktionen im Lokalen und Kooperationen mit Schülerzeitungen um die junge Leserschaft. Chefredakteur Stefan Hans Kläsener zur Rolle der Nachwuchsleser: „Wir betrachten die Medienarbeit von Kindern und Jugendlichen als Anregung und Bereicherung für unsere journalistische Arbeit. Ihr Einfluss geht also weit über die eigentliche Kinderseite hinaus, beispielsweise durch Projekte und Aktionen.“

Natürlich lesen auch die Kids im hohen Norden Nachrichten hauptsächlich auf Bildschirmen und Smartphone-Displays – um Kinder im Internet abzuholen und zur Zeitung zu bringen, hat der shz daher seine Online-Redaktion stark ausgebaut und Social Media-Spezialisten angeheuert. Das Verlagshaus ist bei Facebook aktiv und experimentiert viel mit Instagram.

Welche Zeitschriften machen Kindern und Jugendlichen Spaß und motivieren sie zum Lesen? Die Stiftung Lesen hat ein Qualitätssiegel für Kinder- und Jugendzeitschriften entwickelt, das Inhalt und Layout ebenso unter die Lupe nimmt wie das pädagogische Konzept, die sprachliche Gestaltung, die Möglichkeit zur Interaktion, den Werbeanteil und die Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Zielgruppe. Die aus Medienexperten sowie Kindern und Jugendlichen bestehende Jury prüft ausschließlich Magazine. Das Hamburger Kindermagazin Zeit Leo, eine Zeitschrift für Neun- bis 13-Jährige, trägt das Qualitätssiegel.

„Wir bieten Kindern ein anspruchsvolles und für sie passendes Angebot, das für das Medium Zeitung und für Qualitätsjournalismus wirbt“, sagt Katrin Hörnlein, verantwortliche Redakteurin im Ressort Junge Leser und Chefredakteurin von Zeit Leo. Seit 2011 gibt der Hamburger Verlag das Leo-Kindermagazin heraus und bereits seit zehn Jahren jede Woche eine Kinderseite in der Zeit, die sonst Eltern und Großeltern mit geeignetem Lesestoff versorgt. Um die Leser der Zukunft und „künftigen Entscheider und Gestalter dieses Landes“ zum Lesen zu verführen, setzt die Zeit-Verlagsgruppe neben Kinderseite und Magazin auch auf den Kinder- und Jugendbuchpreis Luchs, einen jährlichen Vorlesetag, den Leo-Weltretter-Wettbewerb für Klassen sowie Bucheditionen für Kinder. Als Lockvögel für Jung und Alt dienen zudem Lern-Erlebniskurse, Veranstaltungen für die ganze Familie sowie Familien-Schwerpunkte im Ressort Chancen und im Familienbeileger des Kindermagazins.

Hörnlein legt Wert auf eine Haltung, die Kinder genauso ernst nimmt wie Erwachsene. Ob Kind oder Erwachsener, die Leser sollen in der Lage sein, sich eine eigene Meinung zu bilden: „Wir versuchen stets ausgewogen zu erzählen und den Kindern Informationen und Argumente zu liefern, um selbst zu einem Urteil zu kommen.“ Die Themen entstammen einerseits der Lebenswelt von Kindern, also beispielsweise Kinder in anderen Ländern oder Umweltschutz, andererseits berichtet Zeit Leo über aktuelle Ereignisse. Obwohl die jungen Leser in sozialen Netzwerken und als Konsumenten bei YouTube sehr aktiv sind, konzentriert sich die Zeit-Verlagsgruppe auf das Print- und Veranstaltungsangebot. Die ganz jungen Leser haben „in der Regel noch weit mehr Offline-Zeit als Jugendliche und Erwachsene, allein, weil die Handy- und Internetnutzung von den Eltern kontrolliert und reglementiert wird“, erklärt Hörnlein die Hintergründe für diesen Verlagskurs.

Eine andere Linie verfolgt der Hamburger Verlag auch bei der Einbindung junger Leser. „Wir besuchen regelmäßig Schulklassen, laden Kindergruppen ins Pressehaus zur Blattkritik ein und beantworten jeden einzelnen Leserbrief“, so Hörnlein. Um Themen im Blick zu haben, die Kinder gerade beschäftigen, gäbe es mit dem Fragebogen auf der Kinderseite ein gutes Instrument. In ausgewählten Fällen lasse die Zeit Kinder schreiben, Bücher rezensieren oder in Interviews befragen. „Was wir nicht tun, ist, sie als Reporter und Interviewer loszuschicken“, sagt Hörnlein. „Unserer Erfahrung nach tappt man damit schnell in die Niedlichkeitsfalle und wird den Kindern nicht gerecht.“

Rainer Gussek, Autor beim NDR-Kinderradio Mikado, weiß, dass Ereignisse mit gewalttätigen Begleiterscheinungen bei Kindern diffuse Ängste auslösen können: „Dort auditiv zu arbeiten ist manchmal hilfreicher als die visuelle Lösung.“ Am Wochenende produziert der NDR für Kinder gestaltete Radio-Nachrichten mit Schwerpunktthemen und Hintergrundinformationen. „Das finde ich gelungen“, so Gussek, aber „als Vater zweier Kinder hätte ich mir in der Vergangenheit vielleicht noch einen täglichen festen Platz für Kinder am frühen Abend gewünscht“. Hinsichtlich der Nutzung sozialer Medien versus klassischer Medien kritisiert der Radiomann das vorherrschende Entweder-Oder-Denken: „Entweder klassische Funksendung oder nur noch digitales Angebot. Ich fände es viel spannender, wenn sich beides kombinieren ließe. Da kann noch in viele Richtungen gedacht werden.“
(Text: Claudia Piuntek, Foto: Charlotte Behr)



„Mit der Kinderzeitung möchten wir die Allgemeinbildung der Kinder steigern, ihren Wortschatz erweitern und ihre Konzentrationsfähigkeit stärken. Aber auch ihre Motivation, sich mit unbekannten Themen auseinanderzusetzen und sich darüber auszutauschen.“

Sheila Schönbeck, Redakteurin der Kinderzeitung

(Foto: Charlotte Behr)



„Wie alle Medien suchen wir nach Wegen, wie wir noch mehr junge Menschen mit der regionalen Berichterstattung erreichen können. Denn wir glauben, dass es eine Bereicherung für die Menschen und für die Region ist, wenn Leser jeden Alters gut informiert zusammenleben.“

Ina Reinhart, Kina-Redakteurin beim shz

(Foto: M. Jahr)

 


„Kinder sind nicht nur die Leser der Zukunft, sie werden in nicht allzu ferner Zeit selbst die Entscheider und Gestalter dieses Landes sein. Darauf kann man sie gar nicht gut genug vorbereiten. Wir hoffen, mit unserer Arbeit einen Beitrag zu leisten.“
Katrin Hörnlein, Chefredakteurin von Zeit Leo

(Foto: V. Tammen)

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