Die journalistische Ausbildung ist im Wandel – auch im Norden
Auf der Suche nach dem Königsweg
Im Uhrzeigersinn von oben links: Kathrin Petersen (Foto: MadsackMediengruppe), Thomas Schnedler (Foto: Raphael), Stephan Weichert (Foto: Jörg Müller), Nadja Stavenhagen (Foto:AfP), in der Mitte Volker Lilienthal (Foto: privat)
Noch vor ein paar Jahren wollten alle „was mit Medien machen“. Print, Hörfunk, Fernsehen – Berufseinsteigern schien das egal zu sein. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit galten dagegen als verpönt. Inzwischen hat sich das Ausbildungsfeld neu sortiert. Die Jahrgangsstärksten, so heißt es hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand, tummeln sich längst in anderen Berufsfeldern. Auch von sinkenden Bewerberzahlen in journalistischen Studiengängen ist die Rede. Ein Umbruch? Die NORDSPITZE hat bei neuen wie auch bei etablierten Ausbildungsstätten in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein nachgefragt.
Die Vokabel prekär fällt gern, wenn es um die Lage des Journalismus geht. Die (Un-) Möglichkeit einer Festanstellung, die vielbeschworene Medienkrise. Verlage geben weniger Geld dafür aus, ihre Mitarbeiter zu entlohnen, ganze Redaktionen werden eingestampft – wer sich nach finanzieller Sicherheit sehnt, meidet den Journalismus immer öfter und wählt im Zweifel naheliegende Bereiche wie die PR – auch des Geldes wegen.
Fakt oder Gefühl?
Statistisch belegbar ist die Abkehr junger Menschen vom einstigen Traumberuf Journalismus bisher nicht. An der Universität Hamburg nachgefragt, ist gar von gleichbleibend hohen Bewerberzahlen die Rede. „Wir können uns die Besten für den Masterstudiengang heraussuchen“, sagt Prof. Dr. Volker Lilienthal vom Fachbereich Journalistik und Kommunikation. Jedoch wisse keiner, wo die Studenten am Ende der Ausbildung landen. Ähnlich war das auch an der Hochschule Bremen. Prof. Dr. Barbara Witte leitet dort den Internationalen Studiengang Journalistik – noch. Der Studiengang wird eingestellt, obwohl er sich bis zuletzt einer „extrem guten Nachfrage“ erfreute, der Lehrplan fortwährend angepasst und umgestrickt worden war.
Auch Prof. Dr. Stephan Weichert, wissenschaftlicher Leiter des Masterstudiengangs Digital Journalism an der Hamburg Media School (HMS), möchte in das Klagelied nicht einstimmen: „An der HMS entwickelt sich die Nachfrage positiv.“
Mehr als 100 Studiengänge in Deutschland befassen sich mit Journalismus oder Medien. Die Nachfrage brachte das Angebot an die Unis. Mit der Krise kam auch das große Grübeln in Sachen Lehre und die Frage: Was ist Journalismus heute und was muss ein Journalist der Zukunft können? Der Boden, den Journalisten einst bestellten, ist zur Terra Incognita geworden. Die Kartierung der journalistischen Arbeitswelt gilt als veraltet, überholt von der eigenen Branche. Redaktionen sind zum Labor geworden, in dem mit neuen Techniken experimentiert wird. Beispielsweise mit computergenerierten Artikeln, 360-Grad-Aufnahmen, Facebook Live oder neuer Diskussionskultur mit Flypsite.
Wie reagiert die Branche auf diese Veränderungen? 2016 wurde eine Charta für Journalistenschulen veröffentlicht, die auch die Axel Springer Akademie und die Henri-Nannen-Schule unterzeichneten. Als Selbstverpflichtung sichern die Schulen darin zu, „auch künftig die bestmögliche Journalistenausbildung zu leisten“. Die Vorgaben, wie eine Ausbildung aussehen muss, um den derzeitigen Ansprüchen des Markts zu genügen, lesen sich darin zwar umfassend, aber sehr allgemein: „Die Teilnehmer der Ausbildung werden dazu befähigt, in allen journalistischen Genres zu informieren, dabei sämtliche journalistischen Werkzeuge und Erzählformen souverän zu beherrschen.“ Ein großes Vorhaben. Aber auch ein umsetzbares?
„Man kann nicht so ausbilden, dass alle Bereiche abgedeckt sind. Das konnte man im Übrigen noch nie“, meint Barbara Witte. Wichtig bleiben, da ist sie sich sicher, die Grundlagen: „Es ist schwer zu prognostizieren, wie Journalismus in 15 Jahren aussieht. Was aber sicher alle Journalisten dann auch noch können müssen, ist kritisches Denken und Haltung zeigen.“ Ähnlich sieht das auch Volker Lilienthal. An der Hamburger Universität stelle man sich der digitalen Herausforderung, das bedeute aber nicht, auf jeden Zug der Mode aufspringen zu müssen. „Das würde zu einer Verwässerung unseres Kerns führen“, sagt er und spricht sich stattdessen für Fähigkeiten wie Analysevermögen und Recherchetechniken aus.
Die Suche nach dem Allheilmittel, das den Journalismus rettet, geht weiter. Der Medizinschrank wächst. Während renommierte Ausbildungsstätten wie Leipzig erst einmal dicht machen, um zu reformieren, entsteht anderswo Neues. Der Madsack Medien Campus in Hannover gehört dazu, ein Ausbildungszentrum der Madsack Mediengruppe, zu der 15 Tageszeitungen gehören, darunter die Kieler und die Lübecker Nachrichten. Man wolle mit dieser Neugründung den modernen Lokaljournalismus stärken, sagt Geschäftsführerin Kathrin Petersen: „Exzellente regionale Medienangebote, die in ihrer Heimat verankert sind, brauchen Journalisten, die die klassischen journalistischen Grundlagen und Tugenden genauso beherrschen wie die neuen multimedialen Erzählformen. Journalisten, die sich bei der Gestaltung von Zeitungen genauso auskennen wie bei der Themenaufbereitung in sozialen Medien.“ Wer bei Madsack volontiert, lernt nicht nur in einer Stammredaktion, er bekommt Einblicke in mehrere Redaktionen und arbeitet regional, überregional und digital. „Eine einzelne Tageszeitung, ein einzelner Verlag kann all diese notwendigen Ausbildungsinhalte nicht vermitteln. Das geht nur in einem starken Verbund“, erklärt Petersen das neue Konzept, das zugleich eine Stammredaktion für die Volontäre vorsieht.
Wer durch eine analoge Schule gegangen ist, ist gut beraten, sich neuen digitalen Techniken und Kanälen nicht zu verschließen. Eine thematische Spezialisierung, wie sie früher propagiert wurde, sieht Stephan Weichert von der Hamburg Media School als Unsinn an, Qualifikationen wie Veränderungsbereitschaft, Flexibilität und Experimentiersinn dagegen als elementar. „Die HMS versteht sich als erstes universitäres Innovationslabor für Digitalen Journalismus in Deutschland.“
Aber auch der Blick auf die Programme anderer Stätten für Weiterbildung zeigt die immer liebevoller werdende Umarmung des Digitalen. Die Hamburger Akademie für Publizistik (AfP) bietet in diesem Jahr 200 Seminare an, darunter Volontärskurse (u. a. für Madsack). 40 Prozent sind reine Digitalseminare, dazu kommen medienübergreifende Seminare wie „Schreiben für alle Kanäle“.
„Das Spektrum ist größer geworden. Sogar die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams aus Redaktion, Technik, Sales, Konzeptern kann heute ein Schulungsthema für Journalisten sein“, sagt Nadja Stavenhagen, Direktorin der AfP. Und weiter: „Ganz grundsätzlich bilden nach wie vor zwei Dinge die journalistische DNA: professionelles Handwerk und die Entwicklung einer journalistischen Haltung. In Zeiten von Fake News, Filterbubble und Shitstorm sowie einer enormen Arbeitsdichte und -komplexität ist beides wichtiger denn je.“
Journalismus für alle?
Noch einen Schritt weiter in Sachen Aus- und Weiterbildung will die gerade im Aufbau befindliche Reporterfabrik gehen. Eine Web-Akademie für Journalismus, gegründet von Correctiv und dem langjährigen Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben. Die Idee: Journalisten und Nicht-Journalisten sollen gleichzeitig unterrichtet werden. Mit diesem doppelten Anspruch soll auch die Kluft zwischen Journalisten und Bürgern geschlossen, das Vertrauen in den Journalismus gestärkt werden.
„Wir wollen die Exklusivität des journalistischen Fachwissens aufbrechen und Wissen frei verfügbar machen“, erklärt Projektleiter Thomas Schnedler. Dazu gehören handwerkliche Fähigkeiten wie das Schreiben einer Nachricht, aber auch neue Trends wie mobile reporting. Nicht-Journalisten lernen so journalistische Arbeitsweisen kennen und einzuschätzen, was zu einem besseren gesellschaftlichen Diskurs beitragen soll. Eine Annäherung, die bereichern und nicht etwa den Berufsstand dekonstruieren soll. Schnedler ist überzeugt: „Dass Bürger fachkundig werden, wird nicht dazu führen, dass sich der Beruf Journalist in Luft auflöst.“ Und während er sich dezidiert dafür ausspricht, dass der Gedanke einer fortwährenden Weiterbildung Einzug in die Köpfe von Journalisten halten sollte, hält er an der Idee der Spezialisierung fest: „Wenn einer von allem ein bisschen kann, kann er nichts richtig. Das kann nicht der Weg sein.“
Aber wie genau sieht denn nun dieser Weg, wie die Non-plus-ultra-Ausbildung aus? Am Ende bleiben viele Möglichkeiten bei wenig Einigung. Und immer wieder die Rückbesinnung auf das, was den Journalismus ausmacht, was die Medien sein sollen – ein „Anker unserer Demokratie“, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des Verbands Deutscher Lokalzeitungen kürzlich sagte. Und weiter: „Wir brauchen gut gebildete, ausgebildete, engagierte Journalisten, ausgestattet mit Zeit und Mitteln für Recherche und vor allen Dingen einem eigenen hohen Anspruch an die Qualität ihrer Arbeit.“ Ein Satz, der auch eine Aufforderung ist – wir arbeiten dran.
(Tina Pokern)
INFO
Wo, wann, wie teuer?
Akademische, schulische und berufsbegleitende Ausbildung in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein (Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Irrtum vorbehalten)
Universität Hamburg
Journalistik und Kommunikationswissenschaft (Master)
Bewerbungsfrist: bis 15. Juli
Kosten: Semesterbeitrag (derzeit 313 Euro)
Website: www.uni-hamburg.de
Hamburg Media School
Digital Journalism (Executive Master of Arts)
Digital Media (B.A.)
Medienmanagement (MBA/EMBA)
Bewerbungsfrist: regulär bis zum 15. Juli (rollierendes Aufnahmeverfahren in den laufenden Jahrgang möglich)
Kosten: ab 21.500 Euro, Rabatt- und Finanzierungsmodelle
Website: www.hamburgmediaschool.com
Hochschule Macromedia Hamburg
Journalistik (B.A.) in den Studiengängen Journalismus, Politikjournalismus, Sportjournalismus
Digital Media Management (B.A.)
Medien und Kommunikationsmanagement
(B.A./M.A.)
Bewerbungsfrist: 15. August
Kosten: 500 bis 1030 Euro monatlich (EU-Bürger), Anmeldegebühr einmalig 500 Euro
Website: www.macromedia-fachhochschule.de
HAW Hamburg
Digitale Kommunikation (Master)
Bewerbungsfrist: 15. bis 30. Oktober (Registrierung)
Kosten: Semesterbeitrag (ca. 300 Euro)
Website: www.haw-cc.com
Akademie für Publizistik (Hamburg)
New Media Journalism (berufsbegleitender M.A.)
Bewerbungsfrist: 15. August
Kosten: 3850 Euro pro Semester
Website: www.akademie-fuer-publizistik.de
Fachhochschule Kiel
Journalismus und Medienwirtschaft (Master)
Multimedia Production (B.A.)
Medienkonzeption (M.A.)
Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmens-
kommunikation (B.A.)
Angewandte Kommunikationswissenschaft
(M.A.)
Public Relations (M.A.)
Bewerbungsfrist: August
Kosten: Semestergebühr 115 Euro,
Online-Studiengänge 59,50 Euro, Einschreibegebühr 100 Euro
Webiste: www.fh-kiel.de
Axel Springer Akademie
(Hamburg und Berlin)
Bewerbungsfrist: immer der 1. Juni im Jahr
zuvor
Kosten: keine, Teilnehmer erhalten Ausbildungsbeihilfe von 1400 Euro pro Monat
Website: www.axel-springer-akademie.de
Henri-Nannen-Schule (Hamburg)
Bewerbungsfrist: Alle anderthalb Jahre, für den nächsten Lehrgang voraussichtlich im Sommer 2018
Kosten: keine, Teilnehmer erhalten Ausbildungsbeihilfe von 764 Euro im Monat
Website: www.journalistenschule.de
Madsack Medien Campus, (für Volontäre der
Madsack-Zeitungen, u.a. Lübecker Nachrichten
und Kieler Nachrichten)
Bewerbungsfrist: das nächste Mal Ende Februar 2018
Kosten: keine, Volontäre erhalten monatliches
Gehalt, im ersten Jahr ca. 1750 Euro
Website: www.madsack-medien-campus.de