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KN, LN, SHZ, DLZ: Tageszeitungen in Schleswig-Holstein tauschen Artikel aus

Arbeitsplatzsicherung oder Anfang vom Ende?


In Schleswig-Holstein geht die Pressevielfalt im Regionalen baden. Foto: Arnold Petersen

"Behörden wollen Bürger vor Katastrophen warnen", lautet am 23. Januar 2017 die Überschrift des Aufmachers in den Kieler Nachrichten (KN). In den Lübecker Nachrichten (LN) findet sich am selben Tag im Norddeutschland-Teil ein fast deckungsgleicher Artikel mit identischer Überschrift. Wie Pressevielfalt auch im Regionalen den Bach runtergeht, ist in Schleswig-Holstein besonders krass zu beobachten.

Der Text, in dem es um eine App geht, die die Bevölkerung vor Sturmfluten und anderen Katastrophen warnt, steht nicht für eine einmalige Ausnahme. Zwei Tage später ein ähnliches Bild: In beiden Zeitungen erscheint der Artikel eines KN-Redakteurs über das Segelschulschiff Gorch Fock in nur geringfügig voneinander abweichenden Versionen. Und auch als Anfang Februar der Preisträger des Leonard Bernstein Awards bekannt wird, greifen beide Zeitungen auf den Artikel eines KN-Kulturredakteurs zurück. Dass sich die überregionalen Teile der zum Madsack-Reich gehörenden Blätter ähneln, weil sie von einer Zentralredaktion, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), bestückt werden, ist unter Journalisten im Norden weithin bekannt. Weniger im Fokus steht bisher, dass es auch Kooperationen in der regionalen Berichterstattung gibt. Kollegen in Kiel und Lübeck haben beobachtet, dass die LN, zu 76 Prozent im direkten Besitz von Madsack, tendenziell häufiger Texte der KN (Madsack-Anteil: 49 Prozent) nutzen als umgekehrt. Gerald Goetsch, Chefredakteur der Lübecker Nachrichten, auf die Frage, wie viele Texte pro Woche seine Zeitung von der KN übernehme: "Wir arbeiten mit unseren Partnerredaktionen vertrauensvoll zusammen, sei es bei der gemeinsamen Recherche oder der Wahrnehmung von Terminen. In Einzelfällen kann das auch die Übernahme von Artikeln bedeuten; wir führen hierüber aber nicht Buch."  In Einzelfällen, um Goetsch aufzugreifen, mag es gute Gründe dafür geben, Artikel anderer Zeitungen zu übernehmen. Mit jeder Übernahme sinkt aber auch die mediale Vielfalt. Besonders augenfällig war das 2015, als die weltweiten Flüchtlingsbewegungen auch an der deutsch-dänischen Grenze zu spüren waren. Am 10. September 2015 machten die KN mit einem Bericht über Flüchtende auf, die von dänischen Grenzern nach Schleswig-Holstein zurückgeschickt wurden. Der Autor: ein LN-Redakteur. Auch im KN-Innenteil fand sich unter anderem ein Text von zwei Lübecker Redakteuren. Wenn sich im eigenen Bundesland Ereignisse von globaler Bedeutung abspielen, sollten dort ansässige Großstadtzeitungen, die auf sich halten, eigentlich in der Lage sein, jeweils eigene Perspektiven auf das Thema zu entwickeln. Oder? Ein anderes Beispiel für die wechselseitige Übernahme von Artikeln aus dem Regionalen ist die Zusammenarbeit zwischen dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (SHZ) und der Dithmarscher Landeszeitung (DLZ), die zu Boyens Medien gehört. Deren Chefredakteur Gerhard Wagner sagt auf Anfrage der NORDSPITZE: "Das Volumen schwankt stark. Maximal handelt es sich um etwa 25 Artikel pro Woche." Diese würden "fast ausschließlich" auf den Schleswig-Holstein-Seiten der Dith- marscher Landeszeitung Verwendung finden. Der SHZ verwende umgekehrt Artikel aus dem Hause Boyens, hauptsächlich, so Wagner, für den Lokalteil der Norddeutschen Rundschau, die im Kreis Steinburg erscheint. Seit 2004 nutzten die Kollegen in Heide den SHZ "als Nachrichtenagentur in Ergänzung zum Landesdienst Nord der dpa", ergänzt Wagner. Seitdem gebe es eine schriftliche Vereinbarung. "Die Kooperation eröffnet uns die Möglichkeit, landesweite Themen veröffentlichen zu können, die dpa zunächst nicht hat. Das gilt ebenso für den Bereich des Kreises Steinburg, wo wir keine Redaktion unterhalten, weil er nicht zu unserem Verbreitungsgebiet gehört." Umgekehrt sei es ähnlich: "Für die Flensburger Landesredaktion sind wir eine Art Korrespondentenredaktion für Dithmarschen, wo der SHZ nicht präsent ist. Ebenso für die Norddeutsche Rundschau." Auch wenn man Zeitungen anderer Verlage als zusätzliche Nachrichtenagentur auffasst, trägt das in der Praxis zwangsläufig zur schleichenden Annäherung der beteiligten Blätter bei. Bei der Kooperation zwischen SHZ und Boyens ist das auch deshalb bemerkenswert, weil die Dithmarscher Landeszeitung rein formal betrachtet eine großverlagsunabhängige Stimme ist. Neben der in deutscher und dänischer Sprache erscheinenden Flensborg Avis ist die DLZ die einzige Tageszeitung in Schleswig-Holstein, die nicht zum Madsack-Konzern oder zur NOZ Mediengruppe gehört. Letztere hat 2016 den SHZ erworben. Aus den Redaktionen der Häuser, in denen Tauschmodelle praktiziert werden, ist zu erfahren, dass die betroffenen Redakteure oft gar nicht oder nur zufällig von der zusätzlichen Verwendung ihrer Artikel erfahren. Eine entsprechende Verpflichtung besteht für die jeweiligen Arbeitgeber nicht. Allerdings haben Redakteure, für die der Manteltarifvertrag an Tageszeitungen gilt, einen Anspruch darauf, dass die Zweitverwertung honoriert wird. Bettina Neitzel, Geschäftsführerin des DJV Schleswig-Holstein, betont in einem Schreiben an die Kollegen der Kieler Nachrichten, für eine vergütungsfreie Nutzung der Beiträge durch die Lübecker Nachrichten sei keine der in Paragraf 17 des Manteltarifvertrags geregelten Ausnahmen "einschlägig". Eine Ausnahme wäre etwa gegeben, wenn eine Redaktionsgemeinschaft zwischen LN und KN existierte, ergänzt Neitzels Hamburger Kollege Stefan Endter. Für den Fall, dass ihre Beiträge in den LN veröffentlicht werden, rät Neitzel den Kollegen in Kiel, ein Honorar einzufordern. Gleiches gilt natürlich auch für LN-Redakteure. LN-Chefredakteur Gerald Goetsch zur Frage der Vergütungen für Zweitverwertungen im Rahmen der Partnerschaft zwischen Kiel und Lübeck: "Wir stellen uns nicht wechselseitig Rechnungen, das ist ja vielmehr aktiv gelebte Kollegenhilfe in der täglichen Produktionsarbeit." DLZ-Chefredakteur Wagner sagt: "Wir haben eine Gewinnsituation für alle Seiten, die dazu beiträgt, unsere Arbeitsplätze zu sichern. Von daher erwarten wir keine zusätzlichen Vergütungen für unsere angelieferten Artikel." Umgekehrt ließe sich fragen, ob, wenn sich lose Kooperationen verstetigen, nicht vielmehr Arbeitsplätze gefährdet werden. Womöglich kommen sie beispielsweise bei den Lübecker Nachrichten und den Kieler Nachrichten irgendwann auf die Idee, nur noch eine gemeinsame Schleswig-Holstein-Redaktion zu betreiben.  René Martensaus: Nordspitze 2/17

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Meinung (journalist)