Klimaberichterstattung im Norden
Alle Krisen im Fokus
Sandoz, Waldsterben, Tschernobyl – die Achtziger Jahre verzeichnen Höhepunkte der Umweltberichterstattung. Umweltmagazine, Umweltseiten schossen wie Pilze aus dem Boden. Heute fordern komplexe Klimathemen wie das 1,5-Grad-Ziel, Überschwemmungen und Dürre, Waldbrandgefahr und Temperaturrekorde noch stärker eine sachliche Berichterstattung und fachliche Einordnung. Doch wie sieht es mit der Klimaberichterstattung aus? Wir haben bei norddeutschen Lokalmedien nachgefragt.
Heißt es Erderwärmung oder Erderhitzung? Klimawandel oder Klimakrise? Oder ist Krise nur eine vorübergehende Erscheinung – und wir schreiben besser Klimanotstand? Die Taz lag bei der Umweltberichterstat- tung schon immer vorne und führte als erstes Medienhaus in Deutschland 2020 sogar eine klimagerechte Sprache ein: https://taz.de/taz-startet-in-den-Klima- Wandel/!170194/
Auch bei der Taz Nord sind ökologische Themen seit jeher ein Schwerpunkt der Berichterstattung. Weil die Zeitung mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein zwei Flächenländer abdeckt, bekommen Themen wie Landwirtschaft, Konflikte um geplante Autobahntrassen oder Artenschutz auf ihren Seiten großen Raum. „Das war schon so, bevor der Klimawandel spürbar wurde. Dennoch nehmen Berichte über den Klimawandel – nicht zuletzt durch bildstarke, berichtenswerte Aktionen von Gruppen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion – auch auf unseren Seiten in den vergangenen Jahren zu“, sagt Andrea Maestro, Chefredakteurin Taz Nord. So berichtet die Redaktion über Blockaden, etwa in Lüneburg, wo sich Menschen gegen die Nutzung von Trinkwasserbrunnen durch Coca-Cola ausgesprochen haben, oder führt Expert*innen-Interviews zu den Folgen des Klimawandels.
Diese Folgen sind auch bei der Hamburger Morgenpost (Mopo) schon eine ganze Weile Thema. „Allein schon, weil es durch zuletzt häufigere Extremwetterlagen und deren unmittelbare Folgen viel mehr aktuelle Anlässe für die Berichterstattung gibt. Daraus ergibt sich dann wiederum der Bedarf für Erklärstücke und Service“, bekundet Chefredakteur Maik Koltermann.
Zunehmend im Blick stehen auch Aktivitäten und Branchen, die als eher klimaschädlich gelten wie Kreuzfahrten, Fleisch-Restaurants und motorisierter Verkehr. Zudem erscheint die „Grüne Mopo“ als Print-Produkt inzwischen mehrmals im Jahr. Dabei setzt die Redaktion thematisch einen weiten Fokus, so wird etwa zum Schwerpunkt „Wasser“ erklärt, welche Herausforderungen die Klimakrise hinsichtlich der Wasserversorgung Hamburgs stellt, wie sich steigende Temperaturen auf Elbe und Alster auswirken und wie warmes Wasser aus großer Tiefe klimaneut- rale Energie liefern kann. Diese Inhalte ziehen sich dann durch das gesamte Blatt, sind unter das Aktuelle gemischt, also keine Sonderstrecke. Online gebündelt erscheinen die Themen auf einem Kanal bei mopo.de.
Auch beim Hamburger Abendblatt (HA) ist das Klima seit Jahren eines der beherrschenden Themen. In den Neunzigern
gab es eine extra Umweltseite. Heute „vergeht eigentlich kein Tag, an dem wir uns nicht in verschiedenen Bereichen
mit den Auswirkungen des Klimawandels und der Klimapolitik beschäftigen und zwar in allen Bereichen“, meint Chefredakteur Lars Haider. „Das Thema lässt sich nicht mehr auf eine Kolumne oder das Ressort Wissen zu beschränken.“ So sieht das auch Christoph Linne von der Nordsee-Zeitung in Bremerhaven. Linne und seine Kolleg*innen treten nach außen sogar als Moderator*innen von Podiumsdiskussionen zum Thema in Erscheinung. Ihren Leser*innen bieten sie seit drei Jahren die Serie „Planet der Zukunft – Zukunft des Planeten“. Die Themen werden ressortspezifisch digital und in Print ausgespielt, statt sie an einer Stelle zu bündeln – um die Tragweite in alle Lebensbereiche deutlich zu machen. „Die Aufbereitung der Themen liegt auf mehreren Schultern, eine auf Forschung und Wissenschaft spezialisierte Redakteurin übernimmt die tragenden Themen und ist intern gefragt zur Priori- sierung und Einschätzung“, erklärt Linne. Zudem greift die Nordsee-Zeitung auf ein regionales Expert*innen-Netzwerk zu, um inhaltlich so sachlich und nachvollziehbar wie möglich zu ver- anschaulichen und zugleich regionale Nähe zu vermitteln und zu nutzen.
Auch das Team von der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) versucht sich mit ent- sprechenden Gruppen zu vernetzen, beispielsweise mit Correctiv oder dem Netzwerk Klimajournalismus. „Zudem haben wir Kontakt zu Wissenschaftlern aufgenommen und planen so etwas wie einen Beirat. Da können wir aber noch besser werden“, weiß Joachim Braun, Chefredakteur der ZGO. Im Mai startete die Redaktion die tägliche Serie „Unser Klima“ mit acht Unterthemen, von Küstenschutz bis Wohnen, und einem betont konstruktiven Ansatz. „Wir wollen herausstellen, was jeder Einzelne tun kann und auch die wirtschaftlichen Chancen erläutern, die sich etwa durch die Energiewende für Ostfriesland ergeben“, so Braun. Eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe betreut die Serie. In einem Online-Dossier (Link s. o.) bleiben die Texte zugänglich. Im Zuge der Klimaserie hat das Videoteam von „Ostfriesen-TV“ ein wöchentliches Format entwickelt, den „Klima-Checker“, außerdem wure ein Podcast aufgelegt, » der alle 14 Tage erscheint: „Die Gradwanderer“. Braun ist davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, dem Klimathema ein solches Gewicht zu geben, denn „es geht um die größte Menschheits-Herausforderung, und nur so haben wir eine Chance, auch jüngere Leute anzusprechen“. Ähnlich äußert sich Maik Koltermann: „Es gibt vermutlich keinen Lebensbereich, den die drama- tischen Veränderungen nicht betreffen oder zeitnah betreffen werden. Insofern wird man dem mit einer Rubrik irgendwo im Blatt allein nicht gerecht werden.“
Die beiden befragten Chefredakteurinnen legen Wert darauf, dass es immer beides braucht. Den besonderen Klima-Fokus und dass „das Thema bei der Berichterstattung mitgedacht wird, wie beispielsweise beim Neubau von günstigem Wohnraum“, so Andrea Maestro von Taz Nord. Beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (shz) hat die Redaktion extra ein grünes Logo etabliert. „Gleichzeitig sollte die Berichterstattung nicht ghettoisiert werden“, erläutert Miriam Scharlibbe, Chefredakteurin Content und Entwicklung. „Bei uns stehen Klimathemen auch mal auf der Seite 1, aber bei allem geht es immer darum, Service zu geben, vor allem Kontext.“ Der shz startete vor einem Jahr ein eigenes Klimaprojekt, bei dem das Medienhaus die Auswirkungen der Klimakrise vor der Haustür der Leser*innen betrachten, analysieren und einordnen will. „Alle Inhalte werden in einem digitalen Dossier gesammelt, unter www.shz.de/Klima und natürlich auch in unseren Tageszeitungen veröffentlicht“, sagt Scharlibbe. Auf der Seite kann ein kostenloser Klima-Newsletter abonniert werden, der jeden Mittwoch auf eigene Artikel verweist und auch aktuelle Studien und neue Forschungserkenntnisse auswertet.
Die Redakteur*innen und Autor*innen, die in den befragten Medien mit dem Thema Klima betraut sind, bringen nach Auskunft der Chefredaktionen fachliche Expertise mit oder brennen für das Thema. Lars Haider vom Hamburger Abendblatt stellt bei Neueinstellungen fest, „dass das Interesse am Klimawandel bei den neuen, meist sehr jungen Kolleginnen und Kollegen stark ausgeprägt ist.“ Den Vorwurf, zu sehr die Sprache von Aktivist*innen zu bedienen, hat bisher keine der befragten Redaktionen gehört. Ganz im Gegenteil. Es herrsche Einigkeit, dass das Thema politisch und gesellschaftlich verschlafen wurde.
(Marina Friedt)
Marina Friedt hospitierte Anfang der Neunziger während ihrer Ausbildung zur Umwelt-Journalistin in diversen Hamburger Umwelt-Redaktionen, so bei der Für Sie, der Hamburger Rundschau, dem Hamburger Abendblatt und dem NDR4-Bildungsfunk.
Die vollständigen Antworten der Chefredakteurinnen und -redakteure finden Sie hier.